Samstag, 16. Januar 2010

Ayurveda

Die ayurvedische Tradition entstammt dem Norden Indiens, findet dort heute aber nur noch wenig Zulauf. Kerala dagegen ist für diesen Markt geradezu eine Hochburg. Da ich schonmal dort bin, möchte ich mir die Chance natürlich nicht entgehen lassen, mich einer solchen Behandlung zu unterziehen. Anbieter gibt es viele, bei der Auswahl sollte man auf Tradition vs. Kommerz achten. Wir entscheiden uns für ein abgelegenes Resort irgendwo inmitten des Dschungels und buchen ein Tagesprogramm.


Dort angekommen betrachten wir uns zielgruppentechnisch nicht als primär, die anderen Heilsuchenden sind weißer, älter und weiblicher als wir. Ab diesem Zeitpunkt werden wir getrennt und getrennt behandelt. Mein Meister ist jünger als ich und bittet mich gleich förmlich, die Hüllen fallen zu lassen. Bis auf das kleine Bisschen Schlüpfer um meine Hüfte ist mein Körper also voll zugänglich. Doch auch dieser Stofffetzen soll mir verwehrt sein. Ich hätte zumindest auf ein für Kerala übliches Bananenblatt (Anmerkung des Erzählers: auf solchen wird traditionell das Essen serviert) gehofft.

Das Treatment beginnt mit mittelstarken Schlägen - gegen meinen Kopf. Ich fühle mich ab diesem Zeitpunkt bereits leicht desorientiert, versuche aber alles Folgende zu genießen. Meister sagt, ich hätte mit Haarausfall zu rechnen, was ich unter Zuhilfenahme meines Gencodes leider schon vor langer Zeit selbst entschlüsselt habe. Vielleicht hilft das Kopfschlagen ja was dagegen.

Programmpunkt Nummer 2 findet auf dem Boden statt. Ich lege mich bäuchlings und der, dem ich mich anvertraut habe, bearbeitet mit seinen Füßen (die durch sein Körpergewicht belastet werden) meine Wirbelsäule. Da ich bereits professionelle Erfahrung in Puncto Massieren im Rahmen meiner Ausbildung gesammelt habe, weiß ich, dass die Wirbelsäule absolut tabu ist, sofern man nicht ganz genau sein Handwerk versteht. Sehr zu meiner Verwirrung sagt das mithilfe von Öl auf mir gleitende Wesen: "Your body is so hot!" Ich denke kurz nach und erwidere "I guess that's because it's so warm outside..."

Es folgt klassisches Massieren, klassisches Kneten mit den Händen. Dabei wird keine Körperregion ausgelassen. Meister beginnt parallel mit Smalltalk und hat auch neben den normalen Fragen nach Heirat und Gehalt keine Scheu vor Geschäftlichem. So will er doch ganz genau wissen, mit welcher Idee ich vorhabe, die Welt zu revolutionieren. Ich werfe ihm ein paar tieftechnische Vokabeln vor die Füße, die er anstandslos frisst. Seine Pläne seien irgendwann den großen Sprung nach Deutschland zu schaffen, um dort mit seiner Profession ein Vielfaches zu verdienen. Ich habe leider keine Ahnung, inwiefern dieses Vorhaben realistisch erscheint.

Abschließend steht eine wieder eher ungewöhnliche, für Ayurveda aber urtypische Behandlung an: Während der Behandelte auf dem Rücken liegt, wird ihm für lange Zeit Öl in verschiedenen Bahnen auf das Gesicht getröpfelt. Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es paradoxerweise eine Foltermethode, die nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet. Gefoltert fühle ich mich aber keineswegs, ich bin sogar so entspannt, dass ich dabei einnicke. Schade, dass ich geweckt werde als das Öl alle ist und damit auch meine erste Therapie zu Ende geht.

Ich fühle mich daraufhin leer, möglicherweise so als ob mir sämtliche Belastungen entsagt wurden. Auch an meinem Freund geht das Treatment nicht spurlos vorbei, er schimmert in natürlichem grün.

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