Sonntag, 31. Januar 2010

Out Of Everything

Mein erstes Wochenende in Bangalore verbringe ich nicht in Bangalore, dafür aber inmitten einer acht Autostunden entfernten Kaffeeplantage. Auf der weitestgehend unbefestigten und damit gleichweg holprigen Fahrt in die Nacht schalten wir hin und wieder alle Lichtquellen stumm, um dem einsamen Gefühl von Nichts so nahe wie selten zuvor zu kommen. In Coorg, zumindest kann man den abgelegenen Ort auf diese Weise bestmöglich beschreiben, werden wir von dem wohl klarsten Sternenhimmel begrüßt, den ich je gesehen habe. Kein Lichtsmog, wie man ihn von der Stadt gewohnt ist, kein Handyempfang und wohl auch kaum eine Menschenseele.


Der Grund für das Erscheinen ist der Erwerb von neuem Land der Mutter meiner beiden Mitbewohner, die hiermit offiziell verbrüdert sein sollen. Wir leben gemeinsam mit den Plantagenarbeitern in einer Hütte; die Ressourcen für alltäglich anfallende Bedürfnisse werden hier aus Regenwasser und freilaufendem "Pork" aufgebracht. Leider erfahre ich von diesen offensichtlichen Umständen erst, als ich bereits zu sämtlichem "It tastes nice" sagen kann.

Da die meisten der hier sesshaften - ebenso wie ich und ebenso wie der Zufall es will, meine beiden Mitbewohner - katholisch sind, wird aus Ermangelung an Nähe zu einer Kirche am heiligen Sonntage das Handy als Abspielgerät für heilige Verse und Chorgesang genutzt. Somit sei genug der Religion für den Tag. Wir laufen durch Kaffee-, Pfeffer- und Ingwerplantagen, die so omnipräsent sind, dass wir sämtliche Extremitäten einsetzen müssen, um uns einen Weg zu bahnen. Dabei begegnen wir auch einigem Getier, welches mir so fremd wie giftig erscheint. Insbesondere der tausendfüßrig buschige Tausendfüßler sei an dieser Stelle erwähnt.


Während wir das neue Land erkunden, genießen die Plantagenarbeiter den heiligen Tag mit einer gehörigen Portion Sonne auf dem Haupt und einer ordentlichen Ration Alkohol im Blut. Einer gibt dem anderen 100 Rupien mit auf den Weg ins nächste Dorf, um sich von dort Alkohol mitbringen zu lassen. Der eine ist aber cleverer und trinkt sein erworbenes Gut im Wert von immerhin 200 Rupien bereits auf dem Rückweg. Daraufhin beginnt ein großes Zinober, von dem ich leider nur wenig verstehe. Mir wird übersetzt, dass der Betrunkene mit einem erfundenen Dritten in seine Hand telefoniert, während der Nüchternere nebendran steht und an dieser Konversation ebenfalls teilzunehmen scheint.

Vor unserer Abreise schenkt mir einer der desorientierten noch eine Rose zum Abschied. Ich nutze die Chance, um mich durch eine Portraitaufnahme dankbar zu zeigen und verabschiede mich auf diese Weise von dieser wunderschön fotogenen Landschaft.

Samstag, 30. Januar 2010

Solar Eclipse

Alle Kollegen reden am Morgen des 15. Januar fast ausschließlich über die noch am selben Mittag eintreten werdende Sonnenfinsternis. Die Gespräche drehen sich auf der Erde also quasi um die Sonne. Da ich bisher durch gänzliche Enthaltsamkeit jeglicher Form von Medien geprägt bin, ist meine kurz und eher knappe Vorfreude dafür umso intensiver. Ich habe zwar in der Heimat schonmal eine solche Sonnenfinsternis miterlebt; meine Erinnerungen beschränken sich in dieser Hinsicht aber hauptsächlich auf Bilder von Menschenmassen, die ihren Kopf im Winkel von 45° zum Himmel erheben und dabei seltsam anmaßende Pappbrillen tragen.

Der Mittag rückt näher, die Spannung steigt, so auch der Hunger. Ich wundere mich, warum ich auf der sonst so überfüllten Sonnenterrasse fast ganz alleine speise, dort wäre die Aussicht auf das Kommende doch mit am besten. Die Sonnenfinsternis tritt ein, vergeht. Ich hatte den Ehrenplatz und fühle mich wie der Grund der Veranstaltung.

Erst nach der Rückkehr zu meinem Schreibtisch wird mir erzählt, dass das der morgentlichen Aufregung zugrunde liegende Gefühl eher Angst als Vorfreude war. Eine Sonnenfinsternis, die ist göttergewollt und verheißt im Allgemeinen nichts Gutes. Als ich gegen 17h wie gewohnt das Büro zum Antreten des Heimweges verlasse, begegnet mir auf selbigem eine Kollegin, deren Bekanntschaft ich bereits gemacht habe. Besagte Kollegin steht nur noch knappe drei Monate vor ihrer Auslieferung (Anmerkung des Erzählers: Auslieferung im Sinne der wörtlichen Übersetzung von delivery). "Oh you are already leaving", sagt sie zu mir, "And you are just coming?" frage ich verwundert. "Yes. You know, pregnant women are meant to stay inside during a solar eclipse. The gods may otherwise punish them with a disabled child."

Donnerstag, 28. Januar 2010

Spicy, Spicy

Meinen ersten ernstzunehmenden Scharf-Schock erlebe ich beim Mittagessen im Büro. Der Mund brennt, mir wird schwarz vor Augen, ich verliere das Bewusstsein. Ich habe keine Ahnung, woher es kommt, lenke meine Aufmerksamkeit aber sofort auf die Buttermilch, die ich vom Büffet mitgenommen habe. Ich habe gelernt, dass diese nicht nur der Verdauung zu Gute kommt, sondern auch Schärfe im Mund-Rachen-Raum neutralisiert. An jenem Tag ist sie, wie durch die Undurchsichtigkeit ihrer selbst nur schwer durchschaubar ist, nicht ganz pur.

Ich trinke, trinke, trinke und nehme unhöflichsterweise sogar noch die Buttermilche meiner Nebensitzer in Anspruch. So lange bis jemand sagt: "Markus, the Chilis are actually inside the Buttermilk."

Riddles, Puzzles and Mysteries

Ich fühle mich tagtäglich neuen Herausforderungen ausgesetzt und realisiere immer wieder aufs Neue, dass Indien nichts als ein großes Rätselspiel ist,




welches aber nie an Reiz verliert und generell für Spaß sorgt.

The Mattress

Nachdem die Zeit gekommen ist, meine temporär eingerichtete Unterkunft für immer zu verlassen, bin ich froh das Glück zu haben, bereits ein längerfristigereres Resort sowie potentielle Mitbewohner in Aussicht zu haben. Es handelt sich hierbei um eine 2-Raumwohnung mit Blick auf die Straße, welche ich mir mit zwei der indischen Kultur Abstammenden teilen möchte. 2 für 3 klingt absurd, ist aber durchaus nicht unmöglich. Da meine beiden zukünftigen Freunde einem kulturellen Austausch ebenfalls entgegenfiebern, bieten sie mir an, sich das kleinere der beiden Zimmer - ja sogar ein und dasselbe Bett - zu teilen. Ich komme mit dieser Großer-Weißer-Mann-Attitüde noch nicht ganz klar, nehme das Angebot aber an.

Der Umzug gestaltet sich recht unkompliziert, da ich außer drei Jeans, acht T-Shirts und ein paar Unterhosen quasi nichts aus Deutschland exportiert habe. Ich gedenke, in dieser Hinsicht mittels der starken Kaufkraft meiner Währung während meines Aufenthaltes noch ein wenig aufzustocken. In der neuen Wohnung angekommen spüre ich, dass es wohl besser wäre, zwischen mir und dem Boden eine Matratze schlafen zu lassen. Ich teile dieses Bedürfnis einem der beiden Mitbewohner mit und keine 10 Minuten später stehen drei zusätzliche Hilfskräfte für diese Mission auf der Matte (diesmal ausnahmsweise ausschließlich im übertragenen Sinne).

Der Matratzenhandel findet sozusagen auf offener Straße statt und mir wird geraten, mich zunächst von der Szene gänzlich fern zu halten. Sobald der Verkaufende realisiert, dass ich der eigentliche Interessent bin, sollte sich der Preis doch mindestens verfünffachen. Ich habe schlussendlich die Wahl zwischen einem leicht gepolsterten Stück Styropor und einem Baumwollteppich, der nach einer Woche Benutzung auf die Hälfte seiner Dicke zusammenschrumpft und mit dem man dem Boden unwiderruflich näher und näher kommt. Außerdem stehen die Chancen für einnistendes Ungeziefer bei letzterem recht hoch. Ich entscheide mich also für Variante Styropor (aufgrund von wenigen Contra-, aber auch wenigen Pro-Informationen), welche aktuell leider nur in Farbe pink "vorrätig" ist.

Die Fahrt nach Hause gestaltet sich insofern interessant, da wir keinerlei Möglichkeit sehen, die Matratze im Auto zu verstauen. Wir legen sie daher lose auf das Autodach. Um dennoch zumindest das nötigste Bisschen Fixierung zu realisieren, strecken wir Fahrzeuginsassen einfach je eine Hand durchs Fenster gen Matratze - inklusive dem Fahrer.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Rooftop

Mein erstes auswärtiges Essen in Bangalore habe ich in einem auf American Diner getrimmten Restaurant, das dem Namen Rooftop durchaus gerecht wird. Auf dem Dach eines verhältnismäßig hohen Gebäudes sitzend hat man fast das Gefühl, das hektische Straßenleben der Stadt nicht wahrzunehmen. Elvis Presley und Marilyn Monroe an den Wänden, dazu Piano und Gesang live eingespielt lassen einen überhaupt dazu verleiten, ganz Indien für kurze Zeit zu vergessen. Der indische Kellner, der in diesem Ambiente letztendlich chinesisches Essen servieren wird, holt einen aber schnell wieder zurück ins bizarre Erdgeschoss.

Emergency

Nachtrag zum vorhergehenden Artikel: Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es manchmal durchaus auch wieder heraus. Die Telefonnummern 101, 102 sowie 103 dienen dem Verbindungsaufbau mit in besagter Reihenfolge Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Sollte man sich jemals in einer brenzligen Situation wiederfinden, in der man auf Hilfe einer der genannten Institutionen hofft, so sollte als Reaktion ein "Go to hell!" ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.

Montag, 25. Januar 2010

Crime Rates

Straftaten laut Gesetz gibt es viele, die meisten davon sind hier aus dem alltäglichen Leben aber kaum noch wegzudenken. Ampeln und Straßenschilder à la "Don't Drink and Drive" dürften ebenso angesehen werden wie Wandinschriften "Don't Urinate Here".

Für die vielen Motorradfahrer der Stadt gilt eine Helmpflicht, die Betonung hier liegt aber eher auf Fahrer als auf Motorrad. Wenn also drei weitere Personen mit auf dem Motorrad sitzen (was durchaus nicht unüblich ist) und keinen Helm tragen ist das völlig in Ordnung. Ich habe schon einiges an Hirnschmalz, insbesondere in der Kategorie Physik, investiert, um hierfür eine plausible Erklärung zu finden. Wahrscheinlich ist diese aber so offensichtlich, dass ich sie durch meine tiefgreifenderen Überlegungen schlichtweg übersehe.

Um die Hüter des Gesetzes dennoch zufrieden zu stimmen und vor allem bei Laune zu halten, wird hin und wieder ordnungsgemäß Handelnden eine Strafe aufgebürgt; Bangalore hat eine Kriminalitätsrate, die es im Allgemeinen konstant zu halten gilt. Der etwas erfahrenere Umgang mit dem Thema sieht so aus, die Polizisten links liegen zu lassen und ihnen im Vorbeifahren dezent "Go to hell!" nachzurufen.

Lohri

Auch wenn für meine Verhältnisse der Jahreswechsel bereits zelebriert wurde, nehme ich die doch recht spontane Einladung zu einer weiteren Feier gerne wahr. In Nordindien ist es Brauch, in der Nacht zum 14. Januar das alte Jahr in einem Feuer zu verbrennen und das neue mit einem Tanz um das Feuer Willkommen zu heißen, Lohri. Ganz nüchtern geht man(n) die Sache nicht an, ich habe bei dieser Gelegenheit meine erste Begegnung mit Alkohol (Anmerkung des Erzählers: in Indien). Zuerst ein weißer Wein, der besonders durch besonders ausgeprägte Süße auffällt, danach Whiskey. Ich habe während meiner wilden Zeit gelernt, guten Whiskey zu schätzen und ihn deshalb nicht als Mischgetränk zu verunreinigen. "The Indian Whiskey is so heavy, you can't drink it without mixing." Ich vergewissere mich vom Gegenteil, 37%, und nehme einen großzügigen Schluck direkt aus der Flasche. Von diesem Moment an gebührt mir großer Respekt und ich bin verwundert, warum dem so ist. Das schärfste Essen der Welt, aber selbst der schlappste Whiskey haut alle um.


Meine Mitfeierer zeichnen sich vor allem dadurch aus, männlich, unverheiratet, um die knappen 30 und informationstechnisch tätig zu sein. Solche Runden findet man in Bangalore wohl häufiger. Überhaupt scheint hier alles ein Bisschen liberaler zu sein. Die Leute suchen sich ihre Partner selbst aus und haben auch keine Scheu davor, nach dem was sie tun, nicht zu heiraten. Ich frage meine Kollegin, ob sie denn ihren Zukünftigen schon kennt, als sie mir erzählt, dass sie noch in diesem Jahr vermählt werden soll. "Of course I do. It's a love marriage. The times of arranged marriages are over."

Zurück zu Lohri. Das besagte Feuer wird auf offener Straße entzündet, in Hoffnung auf milde Reaktionen der hier hauptsächlich lebenden Südinder. Einer spricht einen Spruch, beschwört das Feuer, die anderen werfen Popcorn in die Flammen. Dazu ertönt laute Hindi-Musik, die auch mich zum Tanzen anregt. Da ich leider nicht mehr genau weiß, wie ich zu diesem Veranstaltungsort gefunden habe, bin ich froh, am Ende von immerhin 15 treuen Indern bis vor die Tür meiner temporär eingerichteten Unterkunft begleitet zu werden, die circa 10km entfernt sein dürfte.

Donnerstag, 21. Januar 2010

Registration, Part II

Was passiert, wenn man sich einer Sache ganz sicher ist? Genau, das Offensichtliche. Ich teile einem der am Schalter (oder vielleicht besser: am Drücker) sitzenden "Beamten" mit, warum ich hergekommen bin. Darauf zieht dieser recht elegant und schwungvoll einen Zettel unter dem Tisch hervor, auf dem steht: "Today Holiday". Ich nehme diesen Versuch nicht ganz ernst und wiederhole mein Anliegen. Daraufhin sagt der am benachbarten Schalter Hausierende, dass sowieso gerade nicht genügend Kunden da wären und ich deswegen einfach morgen 9h wieder kommen solle. Ich glaube es immer noch nicht ganz und wiederhole meinen Concern nochmals, diesmal in einer anderen Tonlage. Tatsachen wie 30km Entfernung sind für Indien aber leider relativ.

Ich denke kurz nach, wie eine Registrierung ablaufen könnte, und füge meiner Argumentation schlagkräftig hinzu, dass ich doch sowieso nur ein blödes Formular ausfüllen müsste, welches er dann in einen dafür vorgesehenen Ordner, ebenfalls blöd, abheften wird. Dies wird trotz des offensiven Gebrauchs von "blöd" sogar bejaht. Morgen 9h, letzte Antwort. Ich bleibe hartnäckig, fühle mich in dem was ich tue aber auch gleichzeitig verzweifelt. Schaltermann Nummer 3 greift zum Telefon, brabbelt Lokalsprache. Daraufhin betreten zwei Polizisten in Uniform den Raum, um mich nach draußen zu begleiten.

Naiv wie ich bin, habe ich auf den folgenden Tag 9h tatsächlich einen weiteren, 30km entfernten Versuch unternommen. Bei diesem habe ich - wie angekündigt - wesentlich mehr Gesellschaft von anderen Registrierungsbedürftigen. Ich stelle mich also eine knappe Stunde an und fülle in der Wartezeit sämtlich Formulare aus, die herumliegen. Manche sogar mehrfach, des Zeitvertreibens wegen. Auf dem Weg durch die Schlange begegnet mir ein deutsches Pärchen, welches sich in erster Linie dadurch auszeichnet, circa meine Menge an Papier in der Hand durch ausschließlich verschiedene Dokumente aufzubringen. Ich fühle mich klein, starte aber dennoch selbstbewusst einen Annäherungsversuch. Mittlerweile bin ich auch an der Reihe beim zuständigen "Beamten". Dieser sagt, dass ich keine Chance auf Registrierung hätte, da essentielle Dokumente fehlen.

"Where can I find these documents?" lautet die Frage, "Only on the Internet, we do not provide printed versions for these." die Antwort. Ich erhalte daraufhin außerdem eine Liste mit all den darüber hinaus einzureichenden Dokumenten, unter anderem vertrauliche Daten meines Unternehmens (welche der frische Praktikant in seiner ersten Woche ganz bestimmt vom Chef vom Chef vom Chef ohne ein Wimpernzucken bekommt) sowie Telefonrechnungen. Ich habe zwar eine hohe in der Hinterhand, aber leider keine für eine mit 9 irgendwas beginnenden Nummer. Auf der Liste steht unten noch dezent der Hinweis, dass die zwanzig Dokumente in der richtigen Reihenfolge vorliegen und getackert sein müssen, sonst würden sie nicht als gültig anerkannt.

Das deutsche Pärchen ist, wie sich herausstellt schon zum siebten Mal da und hatte also wesentlich mehr Chancen als ich. Da sie die ersten drei Jahre in Indien gänzlich ungemeldet gelebt und gearbeitet haben, forme ich die rechte Hand zu einer Faust und sage Fuck it. Ich werde ein schwarzes Schaf bleiben.

Registration, Part I

Wie ich bereits dank der Erfahrungen eines ehemaligen Indienreisenden weiß, muss man sich für einen Aufenthalt größer 180 Tage bei der Polizei registrieren. Da ich meine Flüge so gebucht habe, dass ich insgesamt genau 181 Tage in Indien verweilen werde, sollte ich mich wohl durchaus angesprochen fühlen. "Bei der Polizei" heißt für mich bei irgendeiner Polizeistation, die werden ja schon irgendwie vernetzt sein. Ich suche also die nächstgelegenste auf (ca. 10km entfernt).

Der zuständige Herr Polizist macht einen sympathischen Eindruck, wir kommen ins Gespräch und weg von meinem Anliegen. Ich erkläre, dass die Sprache Französisch entgegen seiner Annahme eher in Frankreich als in Deutschland gesprochen wird. Seine Frage, ob wir in Deutschland auch ein Polizeisystem haben verstehe ich nicht ganz; er geht sogar noch einen Schritt weiter und fragt, ob das Polizeisystem bei uns auch so funktioniert wie in Indien. Leider glaube ich den wahren Gehalt seiner Fragen erst zu erkennen, wenn es bereits zu spät sein wird. Doch dazu später mehr. Ich sage also sinngemäß, dass wenn in Deutschland ein Verbrechen begangen wird, es dann die Aufgabe der Polizei ist, das Verbrechen aufzuklären. Zumindest hoffe ich, dass diese recht versimplifizierte Darstellung im Allgemeinen gültig ist.

Auf dem Tisch neben unserem, an dem die Konversation stattfindet, liegt ein dickes Buch. Auf der Außenseite des Buches steht, gezeichnet mit schwarzem Filzstift in pompös anmaßenden Lettern, "Crimes 2009". Darunter ist außerdem ein Schlüssel skizziert, welcher wohl die Vertraulichkeit der Daten in dem Buch andeuten soll. Spätestens hiermit dürfte sich der Gedanke der Vernetzung verabschiedet haben.

Nach weiteren semi-interessanten Gesprächen über meine Heimat verrät mein Konversationspartner, dass ich zu einer ganz bestimmten Polizeistation gehen müsste, um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ich bin ihm nicht nur dankbar dafür, dass seit meiner Ankunft bereits eine gute Stunde vergangen ist, sondern auch für den Hinweis, dass die besagte besondere Polizeistation nur noch eine weitere Stunde geöffnet hat, aber immerhin 20km entfernt ist.

Ich hetze also durch die Stadt und zeige keine Scheu vor staatlichen Bussen, die außer einer Nummer nur Hieroglyphen zur Identifizierung des Fahrziels verwenden, und Rikscha-Fahrern, deren Augen leuchten sobald sie mich sehen. Unglaublich, aber gerade rechtzeitig komme ich in dem von Bürokratie übersäten Gebäude an. Drei von vier Schaltern sind besetzt und ich bin der einzige Kunde. Gott sei Dank.

Sideshow-Story: Video Coaches

Ich lese in meinem Reiseführer einen Hinweis, der mich zwar nicht rührt, aber zumindest doch sehr amüsiert. Es geht dabei um das Thema "Reisen mit dem Bus". Meiner Neugier und meiner Unternehmungslust kann ich hoffentlich an einem der zahlreichen Wochenenden nachgeben.

Vorsicht: In den sogenannten Video Coaches werden die ganze Nacht laute Musik und Hindi-Filme gespielt.

Benny Lava

Der erste Tag der Arbeit verläuft recht entspannt, geradezu paradiesisch, idyllisch, vergliche man ihn mit dem gewohnt hektischen Alltag in Deutschland. Auch der zweite knüpft recht gut an diese Gepflogenheiten an. Die Mitarbeiter treffen gegen 11h im Büro ein, versammeln sich dann zunächst in der Kaffeeecke, um dort gemeinsam bei einer Tasse Tee die imposantesten Erlebnisse der jeweiligen Privatleben auszutauschen. Eine halbe Stunde verfliegt wie im Wind. Halb 12 ist nicht unbedingt der Zeitpunkt, sich großen Aufgaben zu widmen, zumal die Gedanken schon um das für 12h angesetzte Mittagessen kreisen.

Beim Mittagessen selbst wird nicht gehetzt, dies widerspräche dem Genuss und dem Einklang mit der Verdauung. Um letzterer noch einen weiteren Schritt entgegenzukommen, findet gleich nach dem Mittagessen ein kollaborativer Spaziergang auf dem Campus statt. Zurück an den Arbeitsplätzen beginnt der individuellste Teil des Tages. Jeder hat dabei die freie Wahl, welche YouTube-Videos er sich ansehen und in welchen fremden Profilen er bei Facebook stöbern möchte. Sind dadurch sämtliche Energiereserven verbraucht, wird im Team eine weitere Tasse Tee konsumiert (Anmerkung des Erzählers: pro Mitarbeiter je eine Tasse), bevor die allgemeine Aufbruchstimmung ausbricht.

Beim Mittagessen an Tag 3 finden Gespräche über die individuellen Tätigkeiten am Nachmittag statt. Da das Arbeitsklima allgemein sehr kommunikativ ist und ein Team generell mehr weiß als das Individuum, finden Konversationen wie "Have you seen this? - No I haven't." statt, welche wohl genügend Inspiration für das Überleben im beruflichen Alltag bieten dürften. Ich steige voll in das Gespräch ein und frage offen in die Runde "Does anyone of you by any chance know Benny Lava?". Ein Teil der Kollegen macht sich allein schon beim Gedanken daran vor Lachen schier in die Hosen, die anderen gehören leider noch in die "No I haven't"-Kategorie. Mitsamt alle sind allerdings verwundert, dass für mich Benny Lava quasi die primäre Informationsquelle im Zuge der Vorbereitungen auf die weite Reise war.

Wir beschließen die "No I haven't"-Gruppe nicht länger auf die Folter zu spannen und versammeln uns nach getanem Verdauungsspaziergang vor meiner Kiste und geben uns zu circa zwanzigst dem urkomischen Tanzvideo hin. Ich kann nicht genau sagen, wer mehr lacht; die die es schon Tausend Mal gesehen haben oder die, die es gerade zum ersten Mal sehen. Etwas verwundert trifft mein Chef auf diese Menschenmenge, die von außen betrachtet recht seltsam erscheinen dürfte. Ich habe Angst, mich gleich autoritären Bemerkungen unterziehen zu müssen, doch diese vergeht, als der Chef nicht mehr als solcher zu erkennen in der lachenden Masse untergeht. Das Witzige an der Sache ist, dass er der einzige ist, der den echten Text versteht und daher wohl definitiv am lautesten lacht.

Dumbhead

Über den immer noch ersten Tag im neuen Leben verteilt lerne ich zahlreiche weitere Menschen kennen, mein gelber Teint scheint in dieser Umgebung doch recht auffällig zu sein. Einigen Kollegen scheint gemein, dass sie dem Deutschen Lande schon ein oder mehrere Besuche abgestattet haben. So finde ich beispielsweise an meinem neuen Arbeitsplatz noch Material vom Vorgänger, eine Postkarte "Munich loves you" sowie ein Bierdeckel vom "Hofbräuhaus am Platzl". Nein, ich war mein Leben lang noch nicht auf dem Oktoberfest, aber danke der Nachfrage. Ich fühle mich diskriminiert, wenn meine Kultur auf Biertrinken und Lederhosen reduziert wird.

Die meisten haben dabei aber keinerlei böse Absichten, genauso wenig, wie wenn sie mir "Dummkob" oder "Sweinehund" zurufen. Wie das eben bei einer fremden Sprache so ist, man lernt zuerst die interessanten Wörter.

First Impressions Of Office

Einen verhältnismäßig langen Teil meines ersten Arbeitstages verbringe ich bei der Security am Firmeneingang. Dort ist viel Betrieb und man hat das Gefühl, dass die vielen Leute, die dort angestellt sind, eher gegeneinander als miteinander arbeiten. Ich werde nach meiner Mitarbeiternummer gefragt, die ich noch nicht habe, nach meinem Namen, um im Adressbuch nachzusehen, in welchem ich noch nicht eingetragen bin, und zuguterletzt nach meiner Mobiltelefonnummer - beginnend mit 9 irgendwas. Wenn ich eine solche hätte, hätten mich meine letzten Anrufe wohl kaum 180€ gekostet. Ich frage mich währenddessen, was der Mann mit dem Gewehr um den Hals und der Mann mit dem fahrbaren Bodenspiegel für eine Rolle in dem Chaos spielen könnten. Ich würde jedenfalls bevorzugen, mich dem Spiegelmann zu stellen als gleich erschossen zu werden.

An der Rezeption angekommen werde ich recht schnell von Hand zu Hand durchgereicht, wobei ich versuche mir die Namen meiner jeweiligen Gegenüber zu merken, erfolglos. Ebenfalls auf Erfolg hofft auch noch die Gabe, zu erkennen, was "Vorname" und was "Nachname" einer Person ist. Sobald es ans Thema Höflichkeit geht, komme ich da möglicherweise nicht drum herum. Jeder hat quasi das Recht, neben dem elterngegebenen Namen (der meist symbolische Bedeutung hat) noch beliebig viele andere Namen anzunehmen. Denkbar und durchaus üblich ist beispielsweise [elterngegebener Name] [Name der Mutter] [Name des Vaters]. Dies ist aber allenfalls Konvention und nicht zwangsläufig die Regel. Da man in diesem Beispiel lediglich drei Vornamen zur Auswahl hat, besteht die Chance, den "richtigen" zu treffen und ihn als Nachnamen zu verkaufen bei umgerechnet ca. 33%. Außer Acht gelassen sind dabei außerdem die Spitznamen sämtlicher Gesamtnamensbestandteile, sowie deren Abkürzungen.

Nachdem ich also insgesamt mit vier fremden, in meinem Kopf noch relativ namenlosen neuen Kollegen gemütlich Tee trinken war, bin ich froh, nicht noch mehr Tee trinken zu müssen, da jede Tasse Tee meine Verdauung mitunder mehr aus dem Gleichgewicht bringt. Meine in Zukunft enganliegenderen Kollegen nehmen sich an meinem ersten Tag quasi ausschließlich Zeit für mich und belassen völlig uneigennützig alles andere auf Eis.

Auch das Mittagessen beeindruckt mich, es gibt ein riesengroßes Büffet, von dem ich jeden Tag neue Vokabeln lernen und essen kann. Dieses ist sogar unterteilt in ein South-Indian-Menü und ein North-Indian-Pendant, um der Vielfalt der Kulturen gerecht zu werden. Nach dem Mittagessen treffe ich gleich noch auf zwei ehrenamtliche Mitarbeiter, die zwar nicht primär zum Umsatz des Unternehmens beitragen, für die die Firma aber dennoch im wahrsten Sinne des Wortes ein zuhause ist. A Bat and a Rat.

Mittwoch, 20. Januar 2010

Next Stop: Bangalore

Den Großteil meines indischen Aufenthaltes habe ich, wie aus meinen Erzählungen bisher nur wenig hervorgeht, vor, mit einer sinnvollen Tätigkeit zu verbringen. Ich möchte im Bereich der Software Entwicklungshilfe leisten. Da Indien den Sprung vom Entwicklungsland zum Schwellenland nicht zuletzt dieser Branche zu verdanken hat, bin ich doch sehr interessiert zu verfolgen, wie dank einer Wissenskraft meinergleichen aus dem ruralen Indien ein urbanes wird. Ich werde hierfür ein Praktikum bei einem kleinen, beschaulich lokalen Verein antreten, von welchem ich mir neben dem besseren Verständnis der Kultur auch verspreche, meine Interessen und meine weiteren Ziele näher kennenzulernen.

Die Zugfahrt von Thiruvananthapuram nach Bangalore dauert ganze 17h und durchbricht dabei auch die Sprachgrenze. Kannada spricht man in Karnataka, zu welchem Bangalore gehört, Malayalam verliert gänzlich an Bedeutung. Einen Platz im Zug zu buchen erwies sich übrigens nicht gerade als einfach, da sämtliche Züge generell immer lange im Voraus ausgebucht sind. Man hat aber wiederum häufig das Glück, dass Leute sich doch spontan umentscheiden und ihren Sitzplatz somit abgeben.

Ich nutze die Zugfahrt für kurze Telefonate, die ich mit meiner immernoch deutschen SIM-Karte führe. Da ich mir leider nur unzureichend bewusst war, dass der Preis pro Minute hierfür 4€ beträgt, bin ich umso überraschter eine Telefonrechnung von 180€ zu bekommen. Richtig schlafen kann ich im Zug nicht, ich träume, es würden sich fiese Würmer in meine Haut bohren und Eier legen. Ganz so abwegig ist der Gedanke im Nachhinein glaube ich gar nicht.

Die Ankunft ist früh morgens und ich kenne keine Sau. Ich schaffe es glücklicherweise, zur temporär eingerichteten Unterkunft manövriert zu werden und hole dort wurmlosen Schlaf nach. Mit Voranschreiten des Tages bemerke ich, dass ich immer noch keine Sau kenne und springe deshalb voll ins Leben. Leider scheint das echte Bangalore weit entfernt und meine Aussicht auf große Firmengebäude beschränkt. Ich erkunde meinen Block und sehe mich aufgrund der allgemein großen Distanzen vor eine echte Herausforderung gestellt.

Ich laufe geschätzte vier Kilometer, in welchen sich weder Landschaft noch Kulisse zu verändern scheinen. Autos, Hitze und Hunde, mehr nicht. Soll ich eine Rikscha nehmen? Wie soll ich sagen, wohin ich will? Wohin will ich überhaupt, ich kenne doch gar nichts.

Cricket?

Bevor ich die bisher längste Zugfahrt meines Lebens antreten werde, sehe ich am zugehörigen Abfahrbahnhof ein kleines Spektakel. Das Spektakel scheint besonders spektakulär zu sein, denn es haben sich immerhin eine Menge Menschen versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen. Besagtes besteht - bei genauerer Betrachtung - lediglich aus einem kleinen Fernsehapparat, in welchem ein Cricket-Spiel übertragen wird.


Cricket, so habe ich bereits während meiner kulturellen Vorbildung gelernt, ist eines der tonangebenden Worte, die mit dem modernen Indien assoziiert werden. Leider bin ich den Regeln des Spiels nicht mächtig und kann daher ein Mitfiebern nur vortäuschen. Aktuell ist Cricket in meinem Kopf gleich neben Baseball abgelegt unter "langatmig, viele Menschen, wenig Action".

Ich unterziehe mich einer ausgiebigeren Betrachtung des gezeigten Spiels und versuche mit meinen Vorurteilen hausieren zu gehen oder mich zumindest von der Daseinsberechtigung dieses Hypes überzeugen zu lassen. Da ich leider scheitere, fehlt dieser Geschichte stellvertretend eine Pointe.

Dienstag, 19. Januar 2010

Bye Bye Kerala

Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Leider trifft dies auch auf meinen hier bisher doch eher touristisch ausgerichteten Lebensstil zu. Ich bin gespannt, was als nächstes kommt, habe aber gleichzeitig schon ein paar Tränen zum Abschied in die dafür vorgesehenen Drüsen geladen. Die Gastfreundschaft, die mir in Indien bisher entgegengebracht wurde, ist wohl die herzlichste, die ich je erfahren habe.

Man ist interessiert, wie es bei mir in Deutschland so aussieht; "Do you also have that in Germany?" habe ich auch bei dem allzu Exotischsten allzu oft gehört, doch meist musste ich verneinen. Die Kulturen sind von Grund auf verschieden, dies weiß der treue Leser spätestens seit den Kapiteln Meals & Manners sowie Marriage. Ich werfe spaßeshalber noch meinen Wintermantel mitsamt Schal um und versuche damit an die Kälte zu erinnern, vor der ich geflohen bin und die in der Heimat aktuell ihren Höhepunkt erreicht haben dürfte.

Mein Gastgeschenk, Schokolade, Marzipan und Gummibären, lösen auf der anderen Seite wohlverdiente Begeisterung aus, auch wenn die Schokolade dem Klima nicht ganz gewachsen zu sein scheint und ich mittlerweile herausgefunden habe, dass die Hälfte der Familie unter Diabetes leidet.

Auch ich bekomme ein Geschenk zum Abschied, ein Dhoti, welches mich zumindest äußerlich der indischen Kultur noch einmal ein großes Stück näher bringt. Ich bin gerührt.



Thank you so much Mr. A and your family for having me with you, caring so much and teaching me how to eat with my hands. I know I was not the easiest case in that. These may have been the most exciting days in my life so far.

Sonntag, 17. Januar 2010

The Knights Of Coconuts

Seit geraumer Zeit, genauer gesagt, seit dem Gespräch mit einem fremden Mädchen in der S-Bahn (da mir in Indien bisher noch keine S-Bahn über den Weg gefahren ist, gehe ich stillschweigend von der Annahme aus, dass dies noch vor meiner Abreise stattgefunden haben muss) weiß ich, dass Kokosnüsse ein ominöses Doppelleben führen. Mit dem Begriff Kokosnuss dürften die meisten Nicht-Tropler wohl eine mittelgroß braun faserige Frucht assoziieren. Das stimmt natürlich voll und ganz, auch meine Vorstellung war auf diese Ansicht fixiert.

Verfolgt man den Weg einer Kokosnuss aber zurück bis in ihre Unreife, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Kokosnüsse im frühen Stadium sind größer, grüner und saftiger als wie man sie gewohnt zu sein scheint. Solche bekommt man in Kerala an jeder Straßenecke; wenn man noch etwas genauer hinsieht, sogar fast an jedem Baum. Auch ich musste mir erklären lassen, was man mit so einer Kokosnuss überhaupt anfangen kann, sofern man nicht nur ausschließlich darauf abzielt, den Reifeprozess frühzeitig zu beenden.


Zunächst lässt man sich von fachkräftigem Personal mit Spezialwerkzeug die Oberfläche der Kokosnuss an einer Stelle leicht aufschlagen, um dort eine Trinköffnung integrieren zu können. Ich habe mir daraufhin immer einen Strohhalm geben lassen, der mich die Kokosnuss bequem mit der Trinköffnung nach oben halten lässt. Da ich bisher gänzlich darauf verzichte, meine körperlichen Reize in der Öffentlichkeit auszuspielen, verzichtete ich an dieser Stelle auch immer darauf, die eine Coca-Cola-Werbung zu imitieren, bei welcher ein verschwitzter Mann sich aus Erfrischungsgründen braun klebrige Cola die nackte Brust hinab fließen lässt. Diesen Erfrischungsmoment möchte ich aber in meinen eigenen vier Wänden zumindest einmal erlebt haben.

Ist die Kokosmilch aufgetrunken, so soll ein weiterer Schritt zwischen Konsument und Kokosnuss stattfinden. Diese wird wieder dem fachkräftigen Personal übergeben, welches die Kokosnuss nun entzwei schlägt. Ein Routineeingriff, der Konsument sollte dabei keinen Schaden nehmen. Mit einem ebenfalls der Kokosnuss enstammenden Teilstück wird ein löffelähnliches Besteck improvisiert, welches dazu dient, das Fleisch auszuschaben. Vegetarier können diesen Schritt getrost überspringen.


Auch wenn die Begegnung Mensch - Frucht hier zunächst endet, können die anfallenden Abfälle durchaus noch weiter verwendet werden. Überhaupt lässt sich die ganze Palme recht vielseitig verwerten. So werden die Blätter verflochten, während der Stamm hin und wieder dem Hausbau zu Gute kommt. Nicht zu vergessen ist natürlich auch das Pferdegetrampel, das sich mit den leeren Schalen imitieren lässt.

Samstag, 16. Januar 2010

Ayurveda

Die ayurvedische Tradition entstammt dem Norden Indiens, findet dort heute aber nur noch wenig Zulauf. Kerala dagegen ist für diesen Markt geradezu eine Hochburg. Da ich schonmal dort bin, möchte ich mir die Chance natürlich nicht entgehen lassen, mich einer solchen Behandlung zu unterziehen. Anbieter gibt es viele, bei der Auswahl sollte man auf Tradition vs. Kommerz achten. Wir entscheiden uns für ein abgelegenes Resort irgendwo inmitten des Dschungels und buchen ein Tagesprogramm.


Dort angekommen betrachten wir uns zielgruppentechnisch nicht als primär, die anderen Heilsuchenden sind weißer, älter und weiblicher als wir. Ab diesem Zeitpunkt werden wir getrennt und getrennt behandelt. Mein Meister ist jünger als ich und bittet mich gleich förmlich, die Hüllen fallen zu lassen. Bis auf das kleine Bisschen Schlüpfer um meine Hüfte ist mein Körper also voll zugänglich. Doch auch dieser Stofffetzen soll mir verwehrt sein. Ich hätte zumindest auf ein für Kerala übliches Bananenblatt (Anmerkung des Erzählers: auf solchen wird traditionell das Essen serviert) gehofft.

Das Treatment beginnt mit mittelstarken Schlägen - gegen meinen Kopf. Ich fühle mich ab diesem Zeitpunkt bereits leicht desorientiert, versuche aber alles Folgende zu genießen. Meister sagt, ich hätte mit Haarausfall zu rechnen, was ich unter Zuhilfenahme meines Gencodes leider schon vor langer Zeit selbst entschlüsselt habe. Vielleicht hilft das Kopfschlagen ja was dagegen.

Programmpunkt Nummer 2 findet auf dem Boden statt. Ich lege mich bäuchlings und der, dem ich mich anvertraut habe, bearbeitet mit seinen Füßen (die durch sein Körpergewicht belastet werden) meine Wirbelsäule. Da ich bereits professionelle Erfahrung in Puncto Massieren im Rahmen meiner Ausbildung gesammelt habe, weiß ich, dass die Wirbelsäule absolut tabu ist, sofern man nicht ganz genau sein Handwerk versteht. Sehr zu meiner Verwirrung sagt das mithilfe von Öl auf mir gleitende Wesen: "Your body is so hot!" Ich denke kurz nach und erwidere "I guess that's because it's so warm outside..."

Es folgt klassisches Massieren, klassisches Kneten mit den Händen. Dabei wird keine Körperregion ausgelassen. Meister beginnt parallel mit Smalltalk und hat auch neben den normalen Fragen nach Heirat und Gehalt keine Scheu vor Geschäftlichem. So will er doch ganz genau wissen, mit welcher Idee ich vorhabe, die Welt zu revolutionieren. Ich werfe ihm ein paar tieftechnische Vokabeln vor die Füße, die er anstandslos frisst. Seine Pläne seien irgendwann den großen Sprung nach Deutschland zu schaffen, um dort mit seiner Profession ein Vielfaches zu verdienen. Ich habe leider keine Ahnung, inwiefern dieses Vorhaben realistisch erscheint.

Abschließend steht eine wieder eher ungewöhnliche, für Ayurveda aber urtypische Behandlung an: Während der Behandelte auf dem Rücken liegt, wird ihm für lange Zeit Öl in verschiedenen Bahnen auf das Gesicht getröpfelt. Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es paradoxerweise eine Foltermethode, die nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet. Gefoltert fühle ich mich aber keineswegs, ich bin sogar so entspannt, dass ich dabei einnicke. Schade, dass ich geweckt werde als das Öl alle ist und damit auch meine erste Therapie zu Ende geht.

Ich fühle mich daraufhin leer, möglicherweise so als ob mir sämtliche Belastungen entsagt wurden. Auch an meinem Freund geht das Treatment nicht spurlos vorbei, er schimmert in natürlichem grün.

Dark was the night

Anbei zu finden ist eine düstere Bilderserie, von welcher der Leser aufgefordert wird, deren Message zu interpretieren.




Fortune Telling

Dass Glaube und Aberglaube nicht all zu weit voneinander entfernt liegen und die Grenzen dazwischen meistens fließend sind, sieht man in Indien hin und wieder überdeutlich. Am Strand von Kanyakumari treffe ich auf eine besonders interessante Interpretation des Schicksals. Auf dem Boden sitzen weise Männer, die die Zukunft von neugierigen Kunden voraussagen wollen. Davon gibt es reichlich viele, dennoch sind fast alle "besetzt" solange ich dort bin.

Gemeinsam ist den Pseudo-Gurus dabei, dass sie neben sich einen seiner Flugkraft entmächtigten Papagei aufgebaut haben, der quasi als Orakel funktionieren soll. Dem Papagei wird hierfür ein Stapel voller Tarot-Karten (zumindest schimpfe ich diese so) vorgelegt, von denen er nach und nach mit seinem Schnabel abhebt. Karte für Karte. Nachdem die "richtige" Karte oben zu liegen scheint, wird diese mit einem doppelten Schnabelzeigen bestätigt.


Ich sehe mir das Spektakel ein paar mal an und bin ob der hellsehenden Fähigkeiten der Papageien nahezu begeistert. Leider werde ich wohl nie erfahren, ob die Zukunft der interessierten Kunden tatsächlich so aussehen wird oder ob man ihnen nicht aufgrund ihrer Neugier vorwerfen könnte, die Zukunft zu ihren Gunsten manipuliert zu haben.

Freitag, 15. Januar 2010

Cats & Dogs

Selbst wenn die einzige Katze, die mir in Indien bisher begegnet ist, recht regungslos auf einer Hauptstraße lag und ihre besten Teile den Raben zur Verfügung stellte, sind doch zumindest die Hunde kaum mehr aus meinen Eindrücken wegzudenken. Sie schleichen umher, alleine oder in Gruppen, und scheinen nicht nur Gründe für ihr Dasein zu suchen, sondern auch Nahrung zum Überleben. In der lokalen Nahrungskette scheint ihr Platz aber scheinbar nicht sonderlich etabliert zu sein, sodass für sie bestenfalls Reste oder andernfalls gänzlich nur Müll zu fressen übrig bleibt. Dass das nicht unbedingt der gesündeste Lebensstil ist, sieht man ihnen regelrecht an.

Der erste Hund, den ich sah, schien in meinem Kopf noch auf sein Herrchen zu warten, spätestens der dritte überzeugte mich in der Tatsache, dass Hunde hier eine andere Rolle spielen als Haustier. Ich bin ein Bisschen beängstigt und weiß noch nicht recht mit dem Thema umzugehen. Sobald ein Hund entgegenläuft oder einfach nur des Weges liegt, versuche ich zumindest eine weitere Person zwischen Hund und mir zu platzieren. Dies lenkt die Lust aufs Jagen erst in zweiter Linie auf mich.

Ich höre die Theorie, dass die staatlich geförderte Geburtenkontrolle, welche die menschliche Bevölkerungsrate im Zaum halten und vor weiterem Exponentiellem zu bewahren versucht, einen Nebeneffekt produziert. Da Hunde in diesem Programm nicht berücksichtigt und davon gänzlich unbetroffen sind, liegt die Vermutung der Dog-Invasion nahe. Die Nahrungszustände für noch mehr Hunde wird noch schlechter und es sollte nur eine Frage der Zeit darstellen, bis der Mensch zur primären Nahrung der Hunde wird.


Sanitation

Die hygienischen Verhältnisse in Indien lassen sich vereinfacht folgendermaßen zusammenfassen: Beschissen wäre noch geprahlt. Es erfordert teilweise schon einiges an Mut, sich dieser Probe für das Immunsystem zu stellen.

Geputzt wird generell nicht, das Wort "Vacuum Cleaner" scheint allgemein unbekannt, Putzutensilien abseits des einfachen Besens habe ich noch in keinem Haushalt vorgefunden. Das Geschirr wird kurz unter verkeimtes Wasser gehalten bevor es anderen Gästen serviert wird. Gegipfelt wird all dies in der Tatsache, dass mit den nackten Fingern gegessen wird, die aus Ermangelung an Seife bestenfalls auch in verkeimtem Wasser abgespült werden können.

Ich frage mich, warum die Fernbedienung für den Fernseher in eine Plastiktüte eingepackt ist. Die Antwort ist simpel, wenn auch ungewohnt: damit sie nicht dreckig werden kann. Mit meinem neu erlangten Wissen deute ich so auch das Vorhaben, die Sitze im Auto in Plastik einzuwickeln.

Mülltrennung existiert nicht, es gibt noch nicht mal eine Möglichkeit, Müll überhaupt irgendwie zu verwerten (was wohl auch eine Organisation wie Müllabfuhr voraussetzen würde). Müll selbst gibt es allerdings genug und überall. Entweder werden die Abfälle also auf offener Straße verbrannt oder aber es wird eine heilige Kuh auf die Erde geschickt, die den Müll einfach verschwinden lässt.


Für den Westler ebenfalls unbequem dürfte sich im wahrsten Sinne des Wortes der Gang zur Toilette gestalten. Die Maus hat mich für das Thema glücklicherweise schon vorsensibilisiert, überfordert bin ich in meinem ersten Real-Time-Scenario aber zunächst dennoch. Nachdem ein Restaurant sich für mich besonders durch eine Instant-Verdauung auszuzeichnen scheint, muss ich zwangsläufig von den sanitären Einrichtungen Gebrauch machen. Erst nachdem ich vor vollendeter Tatsache stehe, setze ich mich mit dem Gedanken an das Wasser auseinander. Ich probiere es, nehme einen kräftigen Schluck und spiele damit in erster Linie meiner Hose zu. Nach dem zweiten eher kontraproduktiven Versuch gebe ich auf und schleiche mich zurück ins Restaurant, um von dort unbemerkt Servietten zu stehlen.

Further South

Nachdem Tag 5 mit Besorgungen und anderen Tätigkeiten im organisatorischen Bereich verbracht wurde, möchte ich einen kleinen Zeitsprung direkt zum 6. Tag meines Abenteuers wagen. Diesen widmen wir einem Ausflug, eine Busreise in den benachbarten Bundesstaat Tamil Nadu, um von diesem zumindest im selektiven Schnelldurchlauf eine konkrete Vorstellung zu entwickeln.

In Tamil Nadu sehe ich mich auf Anhieb wesentlich mehr mit Armut und sozialen Gegensätzen konfrontiert als im auf Tourismus ausgerichteten Kerala. Grob geschätzt existiert im Durchschnitt ein allgemeiner Gewichtsunterschied von an die 10kg, wöge man die Einwohner beider Bundesstaaten. Die aus Kerala bekannte, unübertreffliche Alphabetisierungsrate von nahezu 100% spielt in einer anderen Liga als die hier vorzufindende. Dafür gibt es hier umso mehr Bettler, die um die Aufmerksamkeit der Touristen kämpfen. Einige von ihnen wollen Luftballons verkaufen, andere hoffen schlichtweg auf Mitleid, wenn sie ihre stark verkrüppelten Körperteile zur Schau stellen. Ich höre, dass einige Familien an ihren Kindern im Glauben an größere Chancen auf Bettelerfolge diesbezüglich sogar selbst Hand anlegen.

Der erste Halt mit Ausstieg (es gibt unter Berücksichtigung der chaotischen Verkehrsbedingungen in Indien zahlreiches Halten ohne Aussteigen) dient der Besichtigung eines Tempels in Thuckalay, meiner ersten. Hierfür ist das Ablegen der Schuhe ebenso unabdingbar wie das Freimachen des Oberkörpers. Letzteres gilt selbstverständlich nur für den männlichen Part der Gläubiger. Innen darf ich mich nicht ganz frei bewegen, da die sogenannten restricted areas für Nicht-Hindus wie mich tabu sind. In der Zwischenzeit nutze ich die Gelegenheit mich in dem Riesenareal zu verlaufen und sämtlichen Göttern hallo zu sagen. Vor der Statue einer Kuh werde ich schlussendlich gesalbt, zumindest deute ich das Pulver auf meiner Stirn so.


Zu einem späteren Zeitpunkt wische ich mir beim Abendessen übers Gesicht, um die angesammelten Schweißmassen zusammenzutragen - ohne dabei an das noch Vorhandensein des ominösen Pulvers zu denken. Das Resultat dieses Wischvorganges hat sich gut in die Hand integriert, mit der ich esse. Nach dem Abendessen erfahre ich unter leichtem Schmunzeln meines Aufklärers, dass die "Salbe" der heiligen Kuh naheliegenderweise nichts anderes ist als die Asche verbrannten Kuhmists.

Die darauffolgende Besichtigung eines Palastes Padmanabhapuram kürze sich mit einem künstlerisch wertvollen Foto ab.


Danach geschieht etwas, was ich wohl mein Leben lang nicht vergessen werde: ich treffe tatsächlich den Schwarm meiner Jugend, Shahrukh Khan. Er scheint ein recht sympathischer Zeitgenosse zu sein, der trotz seiner zahlreichen Erfolge (die es sogar vereinzelt bis nach Deutschland geschafft haben) immer noch bescheiden geblieben ist. Meine Frage, ob ich in seinem nächsten Film die weibliche Hauptrolle übernehmen darf, ignoriert er aber dezent. Auch Mr. Jackson und Mr. Ghandi erweisen sich nicht als die Gesprächigsten. Naja, Starallüren eben.


Weiter geht die Reise zum "southmost part" Indiens, Kanyakumari (Cape Comaria), dort wo der Golf von Bengalen, das arabische Meer sowie der indische Ozean zusammentreffen. Ich schaue interessiert noch weiter gen Süden, kann bei den gegebenen Witterungsverhältnissen den Südpol aber nicht sehen. Dennoch möchte ich einige Impressionen dieser beeindruckenden Aussicht teilen:







Der Sonnenuntergang rundet den Tag und das Programm ab.

Mittwoch, 13. Januar 2010

Black Forest

Erneut beim Thema Essen angekommen, möchte ich dort gerne noch einen Moment verweilen - zumal sich die aktuelle Tageszeit hierfür gerade nahezu anbietet. In einem orientalischen Süßwarenladen, in dem ich anschließend doch noch versuche meinem Süß-Bedürfnis entgegen zu kommen, entdecke ich neben allerlei fremder Köstlichkeiten (die mich letztendlich fast zu einer Zuckerüberdosis verleiten) etwas Seltsames.

Ich frage interessiert, wie sich die scheinbar bekannt vorkommende Speise zu nennen gedenkt. Black Forest Cake. Meine Sicherheit nimmt zu, selbst obwohl der Tatsache, dass daraus eine noch tiefgreifendere Verwirrung hervorgeht. Nach ausgiebiger Recherchearbeit, die nie wirklich stattgefunden hat, finde ich in Indien, um Indien und um Indien herum keine Gegend, die dem Begriff "Black Forest" gerecht werden könnte.

Der "Black Forest Cake" ist ein mehrschichtiger Kuchen, der sich durch alternierend aufgebaute Schichten von Schokoladenbiskuit und Sahne auszeichnet und in den zumindest teilweise Spirituosen eingearbeitet sind. Den Höhepunkt stellt im wahrsten Sinne des Wortes eine Kirsche dar. Diese hat den Weg in die Übersetzung wohl leider nicht geschafft.


In Ermangelung eines Beweisfotos setze ich an dieser Stelle auf das Vertrauen des treuen Lesers.

Rocket Science

Ich gewöhne mich mehr und mehr an die indische Küche. Die nächste große Herausforderung wird nun, mich daran gewöhnen zu müssen, nur noch ausschließlich von indischem Essen zu leben. Ganz zu schweigen davon, eine Speisekarte vor sich zu haben und das zu bestellen, worauf man Lust hat.

Die Sprache des Kulinarismus in Indien klingt für mich nach wie vor fremd, wenn auch nicht zwangsläufig befremdlich. Chicken sagt mir glücklicherweise meist was, Mutton wiederum habe ich immerhin gelernt, steht stellvertretend für das Ableben einer Ziege.

Einen Abend verbringe ich mit Dosa, einer vegetarischen Speise, die einen süßen Eindruck macht, das aufkommende Süß-Bedürfnis aber nicht befriedigen wird. Die Form betrachte ich als zeigenswert.


Einige Tage später soll ich sogar noch einer Steigerungsform dieses Mahls begegnen, sie nennt sich vornehmlich Rocket Dosa.


Ich bin gespannt auf den Superlativ.

Dienstag, 12. Januar 2010

Sideshow-Story: Lakshmi

Ich lese eine Geschichte, die mich rührt, und die beispielhaft für den Culture Clash zwischen traditionellen Ansichten und neuen Werten stehen soll.

Als in den 1990er Jahren in Indien der erste Geldautomat eingeführt wird, versammeln sich Massen um gemeinsam zu lobpreisen. Der Geldautomat wird mit Blumen verhangen und angebetet. Das Volk sieht in ihm eine Inkarnation der Göttin Lakshmi, Spenderin von Reichtum und Wohlstand.

Marriage

In Indien wird eher aus Vernunft als aus Liebe geheiratet. Nicht etwa die Betrauten finden sich, sondern deren Eltern. Dies gilt übrigens allgemein für sämtliche Religionsformen in Indien, dabei ist zu beachten, dass man religions- und kastentechnisch übereinkommt. Die Kaste ist angeboren und zumindest zu Lebzeiten nicht veränderbar. Das Kastensystem sieht grob gesagt vier vertikale Stufen (Geistliche, Krieger, Händler und Bauern), die sich dafür aber teilweise zu Tausenden in die Breite ziehen. Am Namen kann man in den meisten Fällen ablesen, mit wem man es zu tun hat. Ich bin dieser für mein Leben bisher unbedeutenden Fähigkeit allerdings noch nicht mächtig.

Die Wahl der Religion dagegen darf in manch liberal gesinnteren Bundesstaaten durchaus geändert werden. So habe ich Hindus getroffen, die "actually think they believe in god" oder solche die sich dem Buddhismus zugewandt haben. Dessen Ursprünge sind übrigens auf Indien zurückzuführen, Buddha war eine Inkarnation eines ich glaube in irgend einer Form erschaffenden Gottes des Hinduismus. Prozentual betrachtet spielt der Buddhismus in Indien heute aber nur noch in der unteren Liga.

Sind sich die Eltern von beiden Parteien einig, darf allerdings nicht einfach drauf losgeheiratet werden, vielmehr muss erst noch das tatsächliche ob und das nicht minder wichtige wann geklärt werden. Diese beiden Fragen können nur durch höhere Instanzen treffsicher beantwortet werden. Man fragt die Götter - und zwar indem man sich ansieht, wie sie die Sterne konstellieren. Astrologie ahoi!

Den mitunter wichtigsten Moment im Leben, den der Heirat, erleben die meisten Inder für unsere Verhältnisse schon verhältnismäßig früh. Wie früh kann aber nicht unbedingt verallgemeinert werden. Ich, der sich nach unseren Verhältnissen bezüglich diesem Thema noch verhältnismäßig jung fühlt, werde oft gefragt, ob ich denn verheiratet sei. Nachdem durch ein dezentes "no" meist Augenrollen provoziert wird, habe ich mir angewöhnt das Augenrollen mit einem "No no, I'm just kidding. I am married and I have seven children." zu erwidern.

Ein Verwandter der Familie, bei der ich in Kerala gehaust habe, meinte darauf sogar, ich solle doch trotzdem hier noch ein Mädchen heiraten. Die könnte mir dann wenigstens endlich Malayalam beibringen.

Montag, 11. Januar 2010

Maria, Maria

You remind me of a West Side Story. Der Trip mit dem Hausboot endet in Kochi.

Houseboat

Tag 3 und 4 sollen zusammengehören und sich dadurch auszeichnen, auf einem Hausboot verbracht zu werden. Kerala, genauer gesagt dessen Stadt Alappuzha bietet nämlich dafür bestens geeignete Backwater. Für mich eine an sich unheimlich aufregende Sache, da ich so langsam beginne, Indien mit allen 5 Sinnen zu erleben. Sehen und dabei Staunen habe ich hiermit zumindest schon erfüllt. Wenn ich es mir genauer überlege, möchte ich aber beim Thema Sehen fairerweise auch noch die ganzen Farben erwähnen, die ich allgegenwertig wahrnehme.

Ein Hausboot hat man sich in etwa so vorzustellen:


Innen recht geräumig, mit immerhin 3 Schlafzimmern (!) und Plasmafernseher (?).


Außen wird kaltes Bier serviert...


... während die Aussicht einfach nur geil ist.


Wir genießen und fühlen uns wie Paschas, da jeder von uns sogar einen eigenen Bediensteten hat. Ab und zu steigen wir mal auf einer dieser Inseln aus und sehen uns seltene, dort ansässige giftige Tiere, sowie auf den Inseln autark lebende Menschen an. Ich bin beeindruckt, da hin und wieder pro Insel nur ein Haus, ein kleines Reisfeld, ein paar Kokosnussbäume und eben das Wasser ringsherum vorhanden ist. Infrastruktur adé.

Die Inselbewohner sind, wie ich mir sagen lasse, blau - zurückzuführen auf den aufs Wasser ausgerichteten Lebensstil. Zwei der Inselbewohnerinnen, die das heiratsfähige Alter noch nicht ganz erreicht haben, wollen unbedingt wissen, wie ich heiße.


Wahrscheinlich hoffen sie darauf, als nächste Generation das Leben nicht ausschließlich auf der Insel verbringen zu müssen. In ihren Vorstellungen könnte ich sozusagen der Erlöser, der Wegheirater werden. Wer weiß, vielleicht ticken die Uhren dort ja schneller.

Bei Sonnenuntergang lerne ich den Wert einer Kokosnuss zu schätzen und wie ich diesen entsprechend zu würdigen habe. Kokosnüssen werde ich bestimmt noch ein eigenes Kapitel in meinem Abenteuer widmen.


Nach Sonnenuntergang erzählt einer meiner "Mitfahrer", er fühle sich krank. Fiebrig. Wir halten an und sollen schlafen. Stehende Gewässer, ich wusste doch da war was. Meine bisherig gelebte lockere Unvorsicht fühlt sich auf die Probe gestellt und in meinen Augen leuchten 7 gelbe Buchstaben: Malaria. Aus Unsicherheit und einem schwierig einzuschätzenden Maß Angst drehe ich durch. Ich ziehe alle meine imprägnierten Klamotten über, sogar mehrlagig. Das Haupt bedecke ich deckend mit einer vor Insektengift triefenden Mütze. Die Augen schütze ich mit einer Sonnenbrille und alle freiliegenden Hautstellen schmiere ich im 10-Minuten Takt zu. Ich stopfe mir sogar das Hemd in die Hose.

Ich frage nach einem Moskitonetz, aber ein solches fährt nicht mit. Meine Malariaprophylaxe liegt ebenfalls zuhause gut und sicher aufbewahrt. Ich schmeiße die Klimaanlage auf 16° und drehe den Ventilator voll auf, ich bilde mir ein, Moskitos stechen bei Kälte und Wind nicht. Ich friere. Beim Versuch, einen schwarzen Punkt an der Decke als Moskito der Gattung Anopheles zu interpretieren, schneidet der rasende Ventilator schier mein Haupt vom Halse. Mir fällt ein, dass ich gelesen habe, dass wegen der Anti-Moskito-Mittel schon Leute gestorben sind, nachdem sie zunächst an Schlaflosigkeit litten. Ich kann nicht schlafen.

Am nächsten Morgen sind alle wieder fit, ich spüre allerdings Symptome einer Erkältung. Beim Blick in die Ferne beschließe ich: Es war die Klimaanlage.

Language

Indien ist - wie bereits erwähnt - nicht nur politisch, sondern auch kulturell stark föderalistisch geprägt. Vor meiner Abreise war ich mir sicher, mich gut und komfortabel verständigen zu können, da keine "höhere" Sprache wie Französisch oder Spanisch von Nöten sein sollte. Dank der Briten konnte man es beim simplen Englisch belassen. Mir war außerdem bewusst, dass es noch eine weitere wichtige Sprache in Indien zu sprechen gibt, nämlich Hindi. Ist ja vielleicht ganz interessant, lerne ich bei Gelegenheit.

Schon in Kerala glich Hindi aber eher Deutsch als Englisch. Hindi lernt man zwar irgendwann mal in der Schule, ist aber im Prinzip so wie wir das mit dem Französischen handhaben. In Kerala spricht man !§$%&, angeblich ein Palindrom (so wie "Anna", von vorne wie von hinten). !§$%& habe ich einmal als "Nirvana", einmal als "Maleium" und wann anders als "Melaleum" verstanden. Von wegen Palindrom.

Erst gegen recht spät lese ich das Wort zufällig an einem Straßenschild. Die Sprache soll wohl Malayalam heißen. Bingo! Die Reichweite Malayalams beschränkt sich aber quasi auf den einen von Indiens 26 Bundesstaaten, Kerala. Im Nachbarstaat Tamil Nadu, wo Tamil gesprochen wird, muss der Keralaianer also auch wieder auf seine Englischkenntnisse setzen. Einer der Inder hat in diesem Zusammenhang einen recht netten Vergleich gewagt: Indien ist demnach wie Europa.

A propos Englisch. Ich habe außerdem gehört, dass Inder eher Menglish als English sprechen. Das M soll dabei die Vermischung mit der eigenen Lokalsprache, der Mother tongue, ausdrücken.

Auch die Schriftbilder der Sprachen sind sich gänzlich verschieden:

"Das war Malayalam, Tamil und Hindi" , würde die Maus jetzt sagen.

Selbst für das simple (Anmerkung des Erzählers: aber deswegen in keinster Weise langweiligen) Spiel Uno werden lokal 5-sprachige Bedienungsanleitungen gedruckt, die international, ja sogar national verhältnismäßig nur wenig Anklang finden. Englisch, Hindi, Bengali, Kannada und Tamil. Malayalam ist da noch nicht mal dabei!

Sideshow-Story: Salt

Ich höre eine Geschichte, die mich rührt, und in deren Denkweise ich mich selbst wiederfinden kann.

Als ich ein kleiner Junge war, hat mich meine Mutter ins Nachbardorf geschickt, um ihr von dort Salz zu besorgen. Ich bekomme dafür 10 Rupien in die Hand. Nach langem Wege beim Händler angekommen frage ich, was ein Kilo Salz kosten soll. "1 Rupie", so die Antwort. Mutter ist zufrieden, aber in erster Linie erstaunt, als ich mit 10 kg Salz zuhause ankomme.

Art

Noch am selben Tag 2 steht ein in meinen Augen weiteres Spektakel an. Wir sehen uns eine traditionelle Art Performance an, die eine Geschichte aus dem Bereich der Götter in Form eines atemberaubenden Tanzes überliefert (Mudiyettu). Dabei geht es heiß her:



Erstaunlich finde ich vor allem die Tatsache, dass der Tanz nicht einfach nur rhythmisch anmaßende Bewegungen aneinanderreiht (dies entspräche ansonsten in etwa meiner Definition von Tanzen), sondern tatsächlich die Geschichte erzählt. Einige Zuschauer um mich herum haben noch gelernt diese Sprache zu lesen und somit jede Bewegung zu deuten. Dabei spielt der Einsatz des Körpers eine ebenso wichtige Rolle wie der des Gesichts, der Mimik. Das Gesicht ist nicht, wie auf die den ersten Blick zu vermuten wäre, von einer Maske bedeckt, es ist lediglich von Make-Up übertüncht. Um das Make-Up so pompös wie eine Maske wirken zu lassen, braucht es vor jeder Vorstellung an die drei Stunden Schminkzeit.

Begleitend zum Tanz schlagen Männer mit nackten Oberkörpern im Hintergrund auf Trommeln. Als Lichtquelle dient fast ausschließlich eine in der Mitte platzierte Öllampe, sowie ab und an ein durch Feuerspucken produzierter Überraschungseffekt (in etwa vergleichbar mit einem Rammstein-Konzert).

Auf dem linken Bild ist ein Symbol zu sehen, über das wohl so ziemlich jeder Angehörige einer westlichen Gesellschaft stolpern würde: ein Swastik. Dieses hat seinen Ursprung in der hinduistischen Mythologie und sollte ursprünglich "Glück" symbolisieren. Der deutsche Gebrauch sah eine "umgedrehte" Version des Swastik vor (sodass die Zacken gegen den Uhrzeigersinn verlaufen). Dass dieser deshalb für "Unglück" steht, ist naheliegend.

Den gravierendsten Eindruck, den ich von der Performance mitnehme, schreibe ich aber folgendem zu: Der Kopfschmuck des Protagonisten ist massiv, ebenso ein Großteil der Kleidung. Die Performance geht mindestens zwei Stunden bei viel Bewegung und heißem Klima. Wer 1 und 1 zusammenzählt, bemerkt die enorme körperliche Belastung, die auf den Tanzenden einwirkt. Dies hat zur Folge, dass besagter meist Kontrolle über Körper und Geist gänzlich verliert und in diesem tranceähnlichen Zustand sich tatsächlich wie die zu verkörpernde Gottheit fühlt. Er wird eins mit seiner Rolle.

Sonntag, 10. Januar 2010

On the beach

Mein erster größerer Ausflug führt am Tag 2 an den Strand, und zwar an einen, der angeblich alle Sünden wegwaschen soll (Varkala). Das Wasser wird regelrecht schmutzig, nachdem ich hineinsteige. Impressionen in Bildern: