Sonntag, 28. Februar 2010

Tamarind

Ich schaffe es endlich, nach einigen Zwischenfällen, das Restaurant bei mir um die Ecke, ohne Zwischenfälle, zu erreichen und dort zu dinieren. Begleitet werde ich bei dieser Gelegenheit von meinem Mitbewohner, der mir eine Hoffnung bezüglich Übersetzung und Interpretation der Speisekarte darstellt. Ein Mann am Eingang, der ein wenig aussieht wie ein Ritter, verneigt sich höflich vor uns, zahlreiches Personal beteiligt sich beim Aufhalten sämtlicher Türen, das erste Stockwerk erreichen wir in Anspruchnahme eines Aufzuges.

Die Atmosphäre im Restaurant ist überzeugend romantisch: der Blick passiert beim Flug durch den Raum Pärchen, für die es ein Besonderes zu sein scheint hier zu speisen (dies fällt in erster Linie durch die pompöse Kleidung auf), Familien, die Familienfeste feiern sowie meinen Mitbewohner, der mir in kurzen Hosen, Adidas-Shirt und Badelatschen gegenüber sitzt. Im Hintergrund läuft übrigens abwechselnd Modern Talking und Celine Dion.

Das Essen ist toll, ich entscheide mich trotz riesiger Auswahl für "Coli Flower", ich kann aber weder die Vokabel noch später das Essen richtig deuten. Mein Mitbewohner erklärt vor ausgeführter Bestellung anschaulich, Coli Flower sei ein Gemüse, das so aussähe wie "Brain". Wie sich letztlich herausstellt, handelt es sich bei meinem Tellerinhalt um nichts weiter als Blumenkohl, gekocht in Joghurt-Soße, angereichert mit Tomate und Cashew-Nuss - geradezu harmlos verglichen mit der Vorstellung von Kopfinnerem.

Man hat kaum die Gelegenheit den Teller vor sich leer zu sehen, immer und immer wieder kommt mindestens einer der Kellner und schöpft von allem nach. So viel Entgegenkommen ist fast schon unangenehm. Obwohl sicherlich beste Intentionen zugrunde liegen, nimmt es dem Essen irgendwie völlig die Ruhe weg. Nachdem wir so voll sind, dass wir jegliche Wiederauffüllaktionen dankend ablehnen müssen, wird mir gleich ein Feedback-Formular überreicht.

Ich kreuze an: Essen - exzellent, Atmosphäre - exzellent, Personal - exzellent. Es folgen ins Persönliche abschweifende Fragen, beginnend mit "Birthday". Ich bin mit dieser Frage sehr vertraut, bin es quasi gewöhnt, diese von kindauf zu beantworten und notiere ohne große Überlegungen meinen Geburtstag. Die nächste Frage gestaltet sich schon etwas anspruchsvoller: "Birthday of your loved one". Nach viel geistiger Anstrengung komme ich darauf, ich notiere den Geburtstag meiner M. Danach kommt das Offensichtliche, hätte ich doch auch nur einmal um die Ecke gedacht: "Anniversary of your marriage". Ich sehe mich in eine Falle getappt, es ist quasi unmöglich, auf die vorherige Frage eine Antwort parat zu haben, diese aber nun gänzlich zu ignorieren.

Ich bringe insbesondere meine kreative Hirnhälfte (rechte oder linke, who cares) auf Hochtouren und entsinne mich der Tatsache, dass meine M mich Ende Februar besuchen kommt. Ich möchte sie überraschen, indem wir am Tag ihrer Ankunft unseren Hochzeitstag bei Tamarind feiern.

Freitag, 26. Februar 2010

Black Forest Reprise

Da in Indien die Ursprünge des Black Forest Cake wohl nicht von Bedeutung sind, sehe ich in einem Pastry Shop eine grundlegende Neuinterpretation des Gebäckstückes. Diese ist in ihrer Sache geradezu naheliegend: ein White Forest Cake.

Donnerstag, 25. Februar 2010

Getting Lost

Ich bin scheinbar nicht darum herumgekommen, mich nach einem Ausflug zusammen mit Kollegen, welche am anderen Ende der Stadt wohnen, von diesen zum Abschied in einen von der Regierung betriebenen Busse setzen zu lassen. Es scheint ihr Gewissen zu beruhigen, mich bei Dunkelheit aus ihrem Einflussbereich zu befördern und mich damit zwangsläufig auf meinem Weg des Nachhausekommens voll und ganz meinem Schicksal auszuliefern. Ein Kollege ruft in einen vorbeifahrenden Bus die grobe Richtung meines Fahrziels, der Fahrer gibt durch signifikante Bewegung seines Kopfes, er wippt wie gewohnt von Schulter zu Schulter, zu verstehen, dass seine Linie in unserer (insbesondere meiner) Angelegenheit ein Volltreffer sei. In mir hegen sich ernsthafte Zweifel bezüglich der Wahrscheinlichkeit, an einem beliebigen Ort genau dem richtigen von den abertausenden Bussen zu begegnen, der einen auf direktem Wege nach Hause transportieren will - und das sogar beim allerersten Versuch. Da ich leider keinem Rikschafahrer von dort aus auch nur annäherungsweise erklären könnte, wo genau ich wohne, bleibt wir wohl nichts anderes, als mich auf das Abenteuer einzulassen.

Der Bus fährt, unglaublich aber wahr, tatsächlich erstaunlich gut, der Fahrer scheint von seinem Hand- und Fußwerk zu verstehen. Ich sehe bei dem Blick aus dem Fenster immer wieder Bilder, die mir bekannt vorkommen und die sich richtig anfühlen. Nach über einer Stunde Fahrzeit fühle ich mich auf die Probe gestellt: Der Bus hält an einer Ampel, nach der die Verkehrsführung zwangsläufig in eine Rechts- oder aber in eine Linkskurve übergeht. Ich sehe nach links, weiß genau, dass dies meine Wahl wäre, weiß genau, dass es ab hier noch ganz genau zwei Kilometer sind. Hier ist nämlich der Punkt, ab dem ich messe, ob der Meter einer mich in der Gegend herumfahrenden Rikscha auch tatsächlich bei zwei Kilometern aufhört zu zählen. Ja, einer hat es sich sogar einst herausgenommen, bis zur knappen Hälfte der Strecke schon sechs Kilometer verfahren haben zu wollen.

Nachdem diese Busfahrt mich bisher von allen schlechten Gedanken über das Busfahren abgebracht und bis in höchste Höhen von Zuversicht und Vertrauen in diese Technologie versetzt hat, geschieht das Unabdingbare. Ich steige nicht aus, Ampel grün, Lenkrad nach rechts eingeschlagen, hupen und Vollgas. Die Räder des Busses kommen erst nach gefühlten fünf Kilometern wieder zum Stehen. Ich bin der erste der aussteigt. Unglücklicherweise wurde meine nicht mit eingeplante Bonus-Strecke nicht in einem geraden Stück abgefahren, sondern auf kleineren Teilstrecken, die andere Teilstrecken über Links- und Rechtsabbiegen verbinden. Da der Bus meinen Glauben an mich selbst und den Endorphingehalt meines Blutes nach wie vor konstant halten konnte, beschließe ich, ab dort zurück zu laufen. Die grobe Richtung denke ich zu kennen; die zweite Fehleinschätzung für diesen Abend.

Ich gehe in ähnlich seltsamem Zick-Zack wie der Bus, das gibt mir das Gefühl, alles richtig zu machen. Ich gehe dabei zudem hin und wieder im Kreis, da auch dieses dazu zu gehören scheint. Nach ca. einer Stunde bin ich überfroh, zunächst die 4th Main Road und kurz darauf die 4th A Main Road zu finden, in der ich glaube zu wohnen. Ich folge ihr zuerst bis ans eine Ende, dann ans andere und stelle fest, hier definitiv noch nie gewesen zu sein. Meine Hausnummer scheint generell in einer anderen Liga zu spielen. Gemein ist dieser 4th A Main Road mit der meinigen aber die Tatsache, dass es sich bei ihr um eine unauffällige Seitenstraße handelt, die nachts recht düster und verlassen erscheint. Es kommt mir also regelrecht entgegen, dass mir in meiner Situation grundlegender Hilflosigkeit drei Inder entgegenkommen. Ich kläre sie höflich über mein Schicksal auf und frage, ob sie mir weiterhelfen können. "Klar", schwafeln sie in kaum verständlichen Anglizismen. Untereinander unterhalten sie sich, auch in meiner Anwesenheit, in Kannada, der hiesigen Lokalsprache.

Meine Wegsgenossen zeigen sich sogar derart hilfsbereit, dass sie mich bis vor meine Tür begleiten wollen und es daher in Kauf nehmen, in genau die Richtung zurückzulaufen, aus der sie eigentlich gerade gekommen sind. Wir gehen gemeinsam ein gutes Stück, ich hatte dabei noch nicht die Gelegenheit, mich irgendwie orientieren zu können. Wir sind auf jeden Fall abseits jeglicher 4. Straßen. Wir stehen plötzlich vor einem kafkaeskschen Haus, dessen Tür sich durch die Hand einer meiner neuen Freunde öffnet. Sie bitten mich herein, man könne mir dort besser helfen. Erst relativ spät realisiere ich, dass das Ziel dieser Aktion wohl von vornherein nicht mein Haus, sondern dieses Haus gewesen sein muss. Wer weiß, vielleicht wollen sie mir nur Tee kochen und mich ihrer Familie vorstellen, das Risiko, eine dritte Fehleinschätzung für diesen Abend einzugehen, möchte ich aber lieber nicht in Kauf nehmen.

Montag, 22. Februar 2010

Home-Cooking

Ich habe zum ersten Mal vor lauter rein indischer Küche Entzugserscheinungen von Pasta, da mein Körper sonst eine Nudelnettoaufnahme von ca. einem halben Kilo pro Woche gewöhnt ist. Ich beschließe kurzerhand, meinen Mitbewohnern ein Stück meiner Kultur näher zu bringen wollen, indem ich mein niederes Bedürfnis als Wohltätigkeit tarne. Im Supermarkt um die Ecke, von deren Existenz ich mittlerweile schon mehrfach profitiert habe, finde ich Barilla-Penne. Wow, damit hätte ich nicht gerechnet. Ich frage mich, wo diese Barilla-Nudeln eigentlich produziert werden, die Texte auf der Packung sich doch primär deutsch. Außerdem schießt mir bei Barilla immer Steffi Graf in den Sinn, wie sie in einem TV-Werbespot der früher 1990er ihren unwohlgeformten Zinken in einen Topf kochender Nudeln streckt und danach das Nudelwasser mit ihrem Tennisschläger abgießt. Steffi Graf ist wohl eindeutig deutscher Abstammung, allerdings wage ich das bei ihrem Ehemann Andre Agassi zu bezweifeln. Mit diesem schien sie zumindest in der Vergangenheit nicht nur Händchen zu halten und Tennis zu spielen, nein, sie sollen wohl auch privat zusammen Barilla-Nudeln gekocht haben (wie ein späterer Werbespot bewies). Wenn mich nicht alles täuscht (und das passiert häufig), war Herr Agassi doch genau derjenige Italiener, der unsere Steffi zur Nudel verführt hat. Im Spiel um die Wurzeln von Barilla steht es demzufolge 15:15.

Ich beschließe, meiner Neugier ein Ende zu setzen und meinen unbemerkt ausschweifenden Monolog im Supermarkt mit einem Schlusssatz zu beenden. Ich fülle meinen Warenkorb auf dem Weg zur Kasse mit einer Flasche "Maggi Tomato Sauce", die direkt neben "Maggi Tomato Ketchup" steht, und greife zudem noch nach einer Zwiebel. Zuhause angekommen habe ich das gute Recht, die für umgerechnet ca. 5€ erstandene Pasta-Box aus dem Hause Barilla ein wenig genauer zu inspizieren. Wie gewohnt erscheint sämtliches Geschriebenes in Deutsch, wobei mir vor allem die Wörter Pasta, Penne und al Dente erschreckend international vorkommen. Auf dem Weg zu "Made in ..."-Erläuterungen finde ich einen Sticker, der wohl auf die Rechnung der Inder geht.

Legally imported.
- NO BEEF CONTENT -

Immerhin weiß ich nun, dass ich bei (fiktiven) Schmuggelaktionen meine Chancen potenzieren dürfte, sofern ich mit solch einem Aufkleber für Klarheit sorgen kann. Die Identitätskrise der Pasta wird daraufhin übrigens folgendermaßen aufgeklärt: Barilla wird in Italien produziert, scheinbar aber wirklich primär für den deutschen Markt. Meine Penne sind demnach in Italien geboren, in Deutschland aufgewachsen und werden in Indien ihre Bestimmung finden.

Wir haben in unserer Wohn- und Lebensgemeinschaft nur eine Herdplatte, weshalb es mir verwehrt wird, Nudeln und Soße parallel zuzubereiten (Andeutung des Erzählers: so wurde es mir zumindest im Zuge von Prozessoptimierung beigebracht). Da ich durch einen plötzlichen Telefonanruf die Nudeln völlig vergesse und somit überkoche, bleibt nur wenig Zeit zum Zubereiten der Soße und schon gar keine zum Improvisieren und Experimentieren. Ich frage also schnell den Mitbewohner nach Öl, dieser rennt daraufhin ins Bad und bringt von dort eine Flasche Kokosnussöl, welches hier generell zum Fetten der Kopfhaut verwendet wird. Ich entschließe mich, die Zwiebeln lieber im trockenen Topf zu braten, woraufhin sie gänzlich schwarz werden. Zuguterletzt kommt noch die "Maggi Tomato Sauce", von der ich mir nach all dem, was bisher zwischen mir und der Mahlzeit passiert ist, noch am meisten verspreche.

Ich vermische die weichen Nudeln mit den schwarzen Zwiebeln und der aussichtsreichen Soße und stelle beim ersten Bissen fest, dass diese einer Aufschrift "Maggi Tomato Ketchup" ebenfalls gerecht werden würde. Ich hasse Nudeln mit Ketchup.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Superdan

Wir bekommen hohen Besuch aus den Staaten, ein entfernter Vorgesetzter, der wohl nur mir ein Unbekannter ist. Lange vor seiner eigentlichen Ankunft wurden schon alle Kalender geblockt mit den drei mysteriösen Buchstaben D A N, die das operative Business quasi auf Eis legen sollen. Er will schon auch unterhalten werden, der große weiße Mann, wenn er sich auf den weiten Weg macht. Parallel dazu wurde ein Teammitglied damit beauftragt, Merchandiseartikel mit der Veronomatopoesierung des Namens unserer Hoheit, wie sie einem bekannten Hindi-Song entstammt, anfertigen zu lassen: "dan-dana-dan", zu vergleichen in etwa mit unserem "la-la-la-la-la". Selbstverständlich schmücken wir alle unsere Kleider mit Broschen dieser kindlich anmaßenden Floskel und tragen ihm besagtes Lied im Kanon vor.


Beim Mittagessen sitzt er recht zentral am Tisch und ich nur zufällig neben ihm. Er erzählt und erzählt, wie er sich wagemütig in Indien von einem Abenteuer ins nächste stürzt. Ja, er ist sogar schon Rikscha gefahren und toll, er hat hier auch schonmal einen Tee getrunken. Die Augen sind auf ihn gerichtet, er genießt die Aufmerksamkeit und die Anerkennung seines Mutes. Über sämtliche Lippen rollt beständig ein "wow" oder zumindest ein dezentes "great". Da er aufgrund der Tatsache, dass ich neben ihm sitze, weder meine Augen noch meine Lippen sehen kann, erspare ich mir diesen Affenzirkus. Das erschreckende ist für mich dabei, mich gerade zu gut mit ihm identifizieren zu können und meine ersten Tage nochmal im Schnelldurchlauf an mir vorbei rasen zu sehen. Das was ich, respektive er, da von uns geben, dürfte wohl so das Natürlichste Tun im Alltag jedes Inders seit Lebzeiten sein.

In einer Präsentation, bei der die Anwesenheit aller abverlangt wird, erzählt unser Häuptling den indischen Arbeitnehmern am Beispiel Deutschland, wie man Dinge optimieren und auf Effizienz trimmen kann. Er bezüge sich ausgerechnet gerade auf Deutschland, da er zuvor dort auf kulturellem Besuch war. Die Aussage ist banal, die Geschichte fatal; es geht um den Umstand, dass in Deutschland Schweinefleisch mit zu den Gemüsen gezählt wird. Die Zuhörer finden dies durchaus interessant, ich frage mich, wo er diese seltsame Fehlinformation aufgeschnappt haben könnte.

Im Zuge meines zeitlichen Freiraumes bei der Arbeit habe ich hin und wieder versucht, auf anonymen Wegen meinen einen Kollegen zu kontaktieren, der seit kurzem regelmäßig dem Fitnessstudio einen Besuch abstattet. Ich nutzte dabei Schwachstellen in firmeninternen Systemen und versendete SMS und E-Mails im Namen von Pamela Anderson. Ich weiß, dass ich mir das erlauben kann, da er ganz genau weiß, dass ich der Scherzkeks bin. Beim routinemäßigen Verlassen meines Arbeitsplatzes für eine Tasse Tee scheine ich wohl zu vergessen, meinen Computer mit Aufforderung zur Eingabe eines Passwortes zu schützen. Als ich zurückkomme, sehe ich den Sent-Ordner meines E-Mail Programms, aufgeschlagen ist eine Mail an meinen Manager:
"Sorry Boss, but I will quit my job here immediately. I have already booked a flight back to Germany, it will leave tomorrow. I just can't stand it anymore without my pork-vegetable."

Montag, 15. Februar 2010

Sideshow-Story: Cheezy

Zitat meines Mitbewohners:

"Hey Markus, you know that one place in Marathahalli where they serve cheese? I mean I hate cheese, but theirs really tastes like chicken."

Sunday

Bisher waren meine in Bangalore verbrachten Wochenenden hauptsächlich unspektakulär. Ich habe zwar befreundeten Kollegen, die eine Wohn-Lebens-Gemeinschaft führen, schon mehrfach an einem Samstag oder auch Sonntag einen Besuch abgestattet, die Zielpersonen dann aber immer in schlafendem Zustand vorgefunden. Die Uhrzeit scheint dafür unerheblich, ich fürchte, die freien Tage werden allgemein fast gänzlich verpennt. Ich versuche aktiv, meiner Langeweile entgegenzuwirken und mein Schicksal (bzw. Wochenendprogramm) selbst in die Hand zu nehmen. Ich gehe nach dem recht tristen Samstag hochmotiviert vor die Tür mit dem Ziel, meinen Block zu erkunden, da ich neben vorgetretenen Pfaden kaum Straßen oder gar Orientierung kenne. Bei meiner Wanderung sehe ich überraschend viele Slums in der direkten Umgebung, welche sich teilweise an noble Häuser anlehnen; diese Konstruktion spart immerhin eine Dimension Häuslichkeitsressourcen. Dem vielfach angepriesenen Konzept der Wiederverwendung kommt dieser Gedanke als Nebeneffekt sicher entgegen.

Die Zeit vergeht, ich fühle mich beschäftigt und genieße die Sonne. Diese wird nach einiger Zeit aber unerträglich heiß. Mein Kopf wird schwerer, ich durstiger und meine Haut gelbrötlicher. Nach 30 Minuten gebe ich auf, da ich einen Hitzeschlag bei Nichtabbruch meiner Mission nicht ausschließe. Erschwerend kommt hinzu, dass man mit jedem Atemzug neben einem verschwindend geringen Anteil O2 eine nicht unerhebliche Menge Feinstaub vom Feinsten purster Pollution einatmet. Dazwischen finden sich hin und wieder auch Spuren von Methan. Ich kehre um und bin so k.o., dass ich selbst für die nächsten zwei Stunden schlafe.

Auch meine Mitbewohner schlafen, was mir nicht unbedingt mehr Beschäftigung verspricht, als ich wieder aufwache. Ich hole die Wäsche vom Dach und sehe auf dem Weg zum Verstauen derselbigen ein Geschenk des Himmels. Ich habe meine Aufgabe (= Zeitüberbrückung = Herausforderung) gefunden. Es lacht mich an, dieses heiße Eisen, und ich kann der Versuchung nicht widerstehen endlich einmal mit ihm zu spielen. Ich gehe ganz vorsichtig mit ihm um, will es nicht verletzen. Es ist schließlich mein erstes Mal und dieses behält man sich ja doch schon irgendwie in Erinnerung.


Mir wird richtig warm von dem was wir da tun. Wir bewegen uns in unserem gemeinsam geschaffenen Rhythmus und spüren, dass die Sache glatt läuft. Ich habe das Gefühl, es gefällt uns beiden. Danach brauchen wir beide einen Schluck Wasser. Zisch!

Als ich bisher im Büro Montag morgens regelmäßig "How was your weekend?" gefragt wurde, dachte ich noch, ich müsste irgendwas erzählen, nur zuhause zu sitzen kann ja schließlich kein erfülltes Leben sein. Außerdem bin ich doch immer noch a) jung und b) der Gattung der Touristen abstammend, da muss einfach etwas passieren. Ich bemerke, dass die Kollegen bei der Antwort auf die Frage (die meinerseits immer spektakulärer dargestellt wird, als sie in Wirklichkeit ist) recht schnell abschalten und noch währenddessen bereits den nächsten nach seinem "weekend" befragen. Ich habe im Lauf der Montage aufmerksam die Reaktion der anderen beobachtet und weiß nun, was eigentlich von einem erwartet wird: "Nothing. Just taking rest."

Sonntag, 14. Februar 2010

Saturday

Es ist Wochenende und Zeit Wäsche zu waschen. Glücklicherweise haben wir für diesen Fall eine Waschmaschine vorgesehen. Ich habe schon ein paar Runden mit ihr gedreht, aber so ausdauernd wie heute war sie noch nie. Sie verfügt über eine Digitalanzeige, die die noch verbleibende Waschzeit wiedergibt; optimal also, um den Waschprozess unkompliziert in seinen Tagesablauf zu integrieren. Ich plane deshalb so kleinkariert, da ich nur sehr ungerne Wäsche bei Dunkelheit oben auf unserem Dach aufhängen gehe. Ich habe dies einmal gemacht, mich dabei vorher selbstverständlich ordnungsgemäß eingemummt und mit Antimoskitolotion vollgekleistert. Zurück im Drinnenen, habe ich circa 30 Minuten später urplötzlich das Bedürfnis, mich am Kopf zu kratzen. Ich gebe mich meinem Trieb hin und zucke sowas von zusammen, als ich bemerke, dass ich einen Gast in meiner gelben Mähne habe. Es ist ein lebensgroßer Grashüpfer, aber nicht etwa quietschegrün, sondern braun und schleimig. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht so genau, ob es wirklich ein Grashüpfer ist, ich schloss nur darauf, weil es mir in diesem Moment des Schreckens (ich glaube dieser war beidseitig) mit Anlauf vom Kopf gesprungen ist. Daraufhin habe ich sofort Haare gewaschen und den Rest des Abends damit verbracht, mir Eier von dieser Kreatur in meiner Kopfhaut vorzustellen. Nicht besonders angenehm also.


Ich stelle die Waschmaschine um 10h morgens an und schließe aufgrund der abgelesenen Lettern "1:31", dass ich gegen 11:30h die Wäsche sicher bei Tageslicht auf dem Dach unterbringen kann. Was ich dabei nicht einkalkuliere, ist der gegen 10:10h einsetzende Stromausfall. Dieser dauert glücklicherweise nur 2h, die Waschzeit verlängert sich dadurch analog. Kurz nachdem der Strom wieder da ist, wird aber das Wasser knapp. Der lebenswichtige Waschmaschineninput sinkt dadurch rapide pro Zeit. Die Waschmaschine bewegt sich zwar, die Anzeige bleibt aber längerfristig bei "1:21" stehen. Fairerweise treten zwischendurch auch immer wieder kürzere Stromausfälle auf. Es wird Abend und somit dunkel, der 7. Stromausfall scheint wieder ein längerer zu sein. Wie lange die Waschmaschine unter Normalzufuhr von Wasser und Elektrizität noch zu waschen bräuchte, kann ich aktuell nicht sagen, da die Digitalanzeige dem Wegsein des Stromes kampflos ergeben ist.

Ich beschließe, an diesem Tag zumindest einmal einen Schritt vor die Tür zu setzen und gedenke, auf diesem Weg meine Lust auf Abendessen zu befriedigen. Auf dem Weg zu einem Restaurant, das ich schon immer mal ausprobieren wollte, rennt mir eine riesige Menschenmasse entgegen. Dieser folgt wiederum eine nicht geringere Menge von Polizisten, die mit langen Metallstöcken in die vor ihnen trabende Menge einschlagen. Sämtliche Hunde der Stadt haben sich bereits am Straßenrand versammelt und bellen laut. Ich drehe um, renne vor der eigentlich wegrennenden Menge weg nach Hause, esse im Dunkeln trockenes Toastbrot und rede auf die Waschmaschine ein, doch wenigstens bis zum nächsten Morgen fertig zu werden.

Wordplay

Dieser Beitrag wurde zumindest inspiriert von Sebastian.

Beim Mittagessen im Büro, bei dem man mich hin und wieder auffordert "say something in German", bringe ich meinen Kollegen ein Wortspiel bei. Es handelt sich dabei um einen Satz, der ausschließlich aus zwei verschiedenen Wörtern besteht, aber durchaus voll und ganz Sinn ergibt. Das kann sich keiner so richtig vorstellen, doch zumindest beim Mitsprechen versuchen sich die meisten. Ich gebe den Ton an, der Rest stimmt mit ein: "der in der in der in der in" oder - einen Tick fließender gesprochen - "der Inder in der Inderin". Die Kollegen sind begeistert und können gar nicht mehr damit aufhören - bis ich auflöse, was wir da gerade eigentlich brabbeln. Daraufhin stehen alle Mundwinkel offen, Gesichter erröten und die Kollegen geben sich Mühe, schnellstmöglich vom Thema abzulenken.


Mittwoch, 10. Februar 2010

Outsourcing

Verehrter Leser,

ich möchte mein 50. Kapitel einer Geschichte widmen, die nicht aus meiner eigenen Feder stammt. Das heißt, dass ich meinen schwach ausgeprägten roten Faden hiermit öffnen und einem treuen Leser die Chance ermöglichen möchte, seine Geschichte in meiner unterzubringen. Ich stelle dabei keinerlei Restriktionen, außer dass ich die Hauptrolle spiele und dass das angebliche Geschehen in Indien stattfindet.

Bewerbungen nehme ich per Mail (Anmerkung des Erzählers: E-Mail!) entgegen. Ich freue mich über jegliche Zusendungen!

Ausgezeichnet wird der mir am besten gefallenste Artikel - neben der Veröffentlichung - außerdem mit indischen Bonbons, einer Lokalspezialität.


Einsendeschluss ist der 13. Februar, 22h IST.

Indian Standard Time

Dass eine halbe Stunde durchaus eine gefühlte ganze oder gar noch mehr sein kann, diese Erfahrung denke ich mit der Allgemeinheit zu teilen. Je nachdem wie angenehm einem die Situation, deren Beteiligte sowie der zugrundeliegende Handlungsstrang vorkommen, vergeht die Zeit wie im Flug oder quälend langsam. Da ich durch Leben des Kapitels Tummy Upset viel körpereigene Flüssigkeit verloren habe, ist mein Anliegen bei Anruf eines Mitbewohners in erster Linie Wasser. Dieses ist nämlich gerade im richtigen Moment in den eigenen vier Wänden ausgegangen und ich beginne zu dehydrieren. Ich bin alleine zuhause und meine Ortskenntnisse reichen leider noch nicht bis zu einem Supermarkt, dem ich sauberes Wasser im wahrsten Sinne des Wortes abkaufen würde. Bei den meisten kleinen Straßenläden sollte es mich nicht wundern, schlichtweg immer und immer wieder abgeratenes Leitungswasser in den Flaschen vorzufinden.

Ich erkläre also meinem Mitbewohner über Telefon meine Situation, äußerst unangenehm, so detailliert wie möglich, um dessen Helfertrieb zielgenau anzusteuern und zu triggern. Dieser ist, wie er mir erzählt, gerade noch im Facebook, wird mir aber so schnell wie auch nur irgendwie möglich entgegeneilen und spätestens bis in einer halben Stunde mit so viel Wasser vor der Tür stehen, dass ich darin baden könnte. Puh, Glück gehabt. Ich schaue also genau auf die Uhr und gebe mich ihrem Ticken hin. 5 Minuten. 10 Minuten. 15. 20. 30. So langsam müsste er doch kommen. Nichts. Mein Handy: stumm. Ich: Verlust von Kontrolle über Körper und Geist. Halluzinationen. In meinen Gedanken trinke ich den Uhrzeiger, der mich zumindest mit ausreichend verfließender Zeit beschert. Der Health-Balken meines zu lang gespielten Videospiels sinkt bis in den roten Bereich und der Charakter, den ich spiele, hat nicht mal mehr ein Medi-Pack übrig. Die Affen kommen und nagen an mir.

Ganze dreieinhalb Stunden später, also ganze drei Stunden zu spät, öffnet sich die Tür. Mein Mitbewohner kommt entspannt und aufgetankt mit den neuesten Updates seiner Freunde nach Hause und kann gerade noch die Affen vertreiben, die bereits sämtliches Verwertbares von mir abgeknabbert haben. Immerhin hat er Wasser dabei, Wasser welches ich mir postwendend die Flasche senkrecht haltend in den Rachen stürze (Anmerkung des Erzählers: der Flaschenhals zeigt dabei zu mir). Während ich das Bewusstsein wieder erlange, weise ich meinen Mitbewohner auf das Delta-T zwischen meinem Anruf und seiner Ankunft hin. Seine Begründung bezieht sich auf die Zeitverschiebung, Indiens interner Zeitverschiebung; kurz "IST", oder ausgeschrieben: "Indian Stretchable Time".

Montag, 8. Februar 2010

Tummy Upset

Ich kann leider nicht ganz genau sagen, welcher der beiden Artikel Out Of Everything respektive XXY (I put a spell on you) mehr zu meinem Unheil beigetragen hat. Vielmehr kann ich aber fühlen, dass mein Magen-Darm-System plötzlich Dinge tut, die ich selbst mit viel Wohlwollen nicht mehr der Kategorie normal zuordnen kann. Der Drang zum Gang zu den sanitären Einrichtungen baut sich binnen weniger Minuten bis zu einem an Explosionsgefahr grenzenden Maß auf und ich möchte nichts als meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Ich habe damit gerechnet, dass es mich eines Tages einholt, dieses Phänomen, ja ich hätte mir wahrscheinlich sogar mehr Sorgen gemacht, wenn es in meinem Fall ganz ausgeblieben wäre. Das gehört einfach zum Indienaufenthalt dazu und die Fragen, die man später zurück in der Heimat gestellt bekommt, zielen doch sowieso in erster Linie auf dieses Thema ab. Nachdem am Tag 5 meiner Mobilitätsstörungen (Anmerkung des Erzählers: ich möchte an dieser Stelle explizit auf Doppeldeutigkeit hinweisen) mein Bauch derart aufgebläht ist, dass ich es sogar in Erwägung ziehe, ein Kind auszutragen, beschließe ich diesen Umstand auch bei erneutem Versuch nicht als normal einzustufen. Da ich jeden Arbeitstag zwischen dem Eingang der Firma und meinem Arbeitsplatz das Schild "Way to doctor's room ->" passiere, gedenke ich am Tag 6 des Tohuwabu meiner Interna, dass dies der richtige Zeitpunkt sein sollte, diesem Doktor mal einen Besuch abzustatten.

In besagtem Raum treffe ich auf niemand geringeren als die Dame, die damals beim ersten Versuch in Bus "#41" direkt vor mir saß und somit die Initiatorin der ganzen Verwirraktion um guter versus böser Bus war. Ich fühle mich demnach gleich wohl und freue mich auf Bevorstehendes. "Are you the doctor?" frage ich verwundert. Auch sie erkennt mich wieder und auch ihr wird warm ums Herz. "No no, I'm just his assistent. The doctor is sitting in the other building today." Ich habe genügend Zeit, auf dem Weg in das andere Gebäude darüber zu philosophieren, warum es sich gerade heute als sinnvoll erweisen sollte, Arzt und Arzthelferin getrennt aufzubewahren.

Der Doktor fragt nach Name und Alter, welche er daraufhin in das ausschließlich sequentiell strukturierte Buch aller Patientendaten (die Akte aller Akten) aufnimmt. Ich erzähle von meinen Beschwerden, drücke zur Verdeutlichung des Gesagten auf meinen Babybauch und jaule "stomach, stomach". Der Arzt greift zu meinem Arm, misst meinen Puls in rekordverdächtigen 5 Sekunden and that's it. Er geht wieder zu der ihm zugesagten Seite des Schreibtisches und fängt an, mir vier verschiedene Medikamente aufzuschreiben. Abschließend sagt er noch, dass ich mir keine Sorgen machen müsste und dass ich sehr wohl jeden der folgenden Tage Vollzeit arbeitstüchtig bin. Das ist wohl die Rolle des Company-Doctors.

Ich besorge mir die Medizin in einer "Apotheke" und bin erstaunt, weder einen Namen, noch ein Mindesthaltbarkeitsdatum, geschweige denn eine Packungsbeilage zu den bunten Chemiebonbons zu finden. Diese gibt es quasi lose auf die Hand, kosten dafür aber auch nur umgerechnet 2€. Ich bin zwecks einer Einnahme skeptisch und warte den darauffolgenden Tag ab.


Das Logbuch zeichnet bereits Tag 7 ab Start Unwohlsein auf. Ich frage einen Kollegen, ob er denn schon Erfahrungen mit dem Company-Doctor gemacht hat. Dieser beginnt laut zu lachen und steckt mich damit gleich an, da ich eine lustige Geschichte erwarte. Er erzählt, dass der Grund für seinen Besuch damals eine Stimmbandentzündung gewesen sei. Auch ihm wurden initial Namen und Alter abgefragt, welche letztendlich im großen Diagnosenbuch untergegangen sein dürften. Letztere Frage beantwortete er übrigens wahrheitsgemäß mit "thirty", der Arzt verstand und schrieb aber daraufhin "13", "thirteen". Wie sich herausstellt, hat er damals bei zugegebenermaßen einem von meinem verschiedenen Krankheitsbild und -verlauf genau dieselbe Medikation verschrieben bekommen. Er hat - ebenfalls skeptisch - einen Medizin studierenden Freund gefragt, ob er denn die Chemiekeule identifizieren könnte. Dieser hat aufgeklärt: eines ist gegen Erkältung, eines ist gegen Fieber, eines ist gegen Magenprobleme, und das letzte schließlich gegen allergische Reaktionen. Wenn der Patient einfach alles einnimmt, stehen die Chancen, dass das richtige dabei ist und hilft, verhältnismäßig hoch. Warum sollte sich der Arzt dann überhaupt die Mühe machen eine Diagnose zu stellen?

Ich gehe noch am selben Tag ins Krankenhaus und lasse mir zumindest alibimäßig meinen Bauch abtasten. Ich bekomme vom dort praktizierenden Arzt nun fünf neue Medikamente verschrieben. Da ich scheinbar sonst keine Hoffnung auf Besserung in Sicht habe, ergebe ich mich schlussendlich seinen mysteriösen Pillen.

Samstag, 6. Februar 2010

XXY (I put a spell on you)

Neben den serienmäßigen Bettlern, die Mitleid erzeugen und dies in monetäre Ströme umwandeln versuchen gibt es eine Reihe weiterer Formen des Gelderwerbs auf der Straße. Manche verkaufen Luftballons, andere Sonnenbrillen der Marke "Rey Ben". Ein noch kreativeres Vorgehen zeigt sich an manch einer Kreuzung, wo Autos und Motorräder für einige Zeit still stehen. Es sind Männer in Frauenklamotten, mit langen Haaren und künstlichen Brüsten, die zwischen den Vehikeln umher laufen.

Wesen, die aufgrund einer Chromosomenkonstellation XXY quasi geschlechterlos sind, tragen den Ruf, böse Flüche sprechen zu können. Dass die vielen auf weiblich getrimmten Männer aber tatsächlich alle unter diesem Gendefekt leiden, ist statistisch unmöglich. Ich saß im Auto, als bestimmt fünf Weibsmänner um meine Aufmerksamkeit und um mein Geld für Fluchschutz gekämpft haben. Nachdem ich den Forderungen nicht nachgegeben habe, schlugen alle mit ihren dumpf klingenden Ringen gegen unsere Fensterscheiben. Auf diese Weise äußert sich scheinbar die Vermaledeiung.

Einige Tage später höre ich von anderen Mitfahrern in einem anderen Auto, dass nicht auszuschließen sei, dass im Zuge des bevorstehenden Nationalfeiertages, einige Polizisten derart verkleidet auf die Straßen gehen. Um Terroranschlägen bestmöglich vorzubeugen, wird es wohl kaum schaden, als XXY-Fake eine recht exklusive Sicht in sämtliche Fahrzeuge zu bekommen.

Donnerstag, 4. Februar 2010

Heavy Metal

Mein erster Pubbesuch in dem für diese Szene verhältnismäßig nicht unbekannten Bangalore führt in einen Schuppen, der dem vorwiegend männlichen Publikum den Abend mit hartem Metall versüßt. Heavy Metal und Bier ist generell recht beliebt unter Männern, die Erklärung hierfür liefert mir ein Gast, der bereits genügend Hemmungen verloren hat, um mich mit der Wahrheit zu konfrontieren. Die Männer sind sexuell nicht ausgelastet und wenn sie gerade einmal nicht masturbieren, geben sie ihre Triebe der lauten Gitarrenmusik hin. Ich finde diese Anschuldigung sehr hart, sehe aber trotz der starken Einseitigkeit einen Funken Wahrheit in ihr schimmern.

Sex und alles was in diese Richtung andeutet, ist im Öffentlichen ein Tabu. Er ist außerdem Mittel zum Zweck, nämlich der Arterhaltung und der Kontinuität der Familientradition und nicht etwa Instrument zur sexuellen Selbstverwirklichung. Frauen werden generell auf diese Pflichterfüllung reduziert. Unter erwachsenen Männern wird das stille Thema aufgrund allgemeiner Unerfahrung recht pubertär behandelt und das Herumstöbern auf fremden Profilen in Facebook darf wohl bis zu einem gewissen Grad auch als Aufgeilung angesehen werden. Die westlichen Männer seien so viel produktiver als die Inder, weil sie ein geregeltes Sexleben führen und sich daher auf der Arbeit nicht mit diesem Thema beschäftigen müssen, sagt einer beim Bier und Judas Priest.

In Bangalore findet traditionsgemäß dieses Jahr zum dritten Mal das moderne Musikfestival Rock in India statt, dessen Historie auf Headliner wie Iron Maiden und Megadeath zurückblickt. "India's only international music festival", so der Untertitel. Völlig unbegreiflicherweise wurden für dieses Jahr die Backstreet Boys als Hauptact angekündigt. Die Webseite des Festivals wurde daraufhin für einen Tag lang von einem wahren "Indian Metal Head" gehackt, der durch die Übernahme der Webseite die Gelegenheit hatte, seinen Hass öffentlich zu demonstrieren. Möge Thors Hammer alldenjenigen ihr Leben lang alltäglich in den Arsch rammen, der den hiesigen Männern auch dieses Vergnügen nehmen will!

Mittwoch, 3. Februar 2010

Transportation Service

Zum Glück ist man als mobil Bedürftiger nicht ausschließlich auf Rikschas angewiesen. Es steht jedem frei, sich mittels von der Regierung betriebenen Bussen fortzubewegen. Leider muss man sich für diesen Fall aber auch einer gehörigen Portion Lokalpatriotismus unterwerfen, da das Ziel der jeweiligen Busse ausschließlich in der hiesigen Traditionssprache Kannada mit unkenntlichem Skript angedeutet ist. Immerhin gibt es aber eine normalsterblich entzifferbare Nummer, die die Routencharakteristik zumindest teilweise identifiziert. Ich habe schon Busse mit vielen verschiedenen Nummern gesehen, 295, 296, 297, 298, 299 und 300 seien beispielhaft erwähnt. Mich würde nicht wundern, wenn das uns bekannte Delta von Normalnull (Anmerkung des Erzählers: große Nummern lassen Busse auch generell größer und geräumiger wirken) hier nicht notwendig ist, da man bereits von vornherein mit fortlaufenden Nummern bis zu den großen Zahlen vordringen könnte. 300D, 300E und 300F sind übrigens auch schon an mir vorbeigedüst. Wenn man die Endhaltestelle unnatürlicherweise doch kennen sollte, diese aber selbst nicht primär anstrebt, wird man feststellen, dass viele Wege - und nicht zwangsläufig der erwartete - zu diesem Ort führen können.

Ich habe mich einmal getraut, mit so einem zu fahren. Beim Einsteigen waren nur noch zwei Plätze im Bus frei, nämlich direkt hinter dem Fahrer. Ich mache es mir bequem, habe die Option und wähle Fensterplatz, während der dem Gang zugewandte Platz zügig darauf ebenfalls vergeben wird. Der Bus wird recht schnell recht voll, sodass ein Laufen im Gang mit Passagier zu Passagier unmöglicher wird. Ich bemerke, dass um mich herum nur Frauen sitzen und mich anlächeln. Kann ich voll und ganz verstehen, bei meinem Äußeren. Dass sie aber eher lachen, weil sie mich auslachen, will erst in meinen Kopf hinein, als eine der Damen dezent auf die vielen "Ladies"-Kennzeichnungen über meinem und den ihrigen Sitzen deutet.

Morgens, zumindest an Werktagen, kann und darf ich glücklicherweise von sämtlichem Verkehrstumult abstrahieren. Die Firma stellt Busse zur Verfügung, die die Mitarbeiter quasi von zuhause abholen und in Massenware ankarren. Der Preis, den man hierfür bezahlen muss, ist Rs. 800 pro Monat, sowie 7 Uhr jeden Tag. In der goldenen Morgenstund ist es nämlich noch am realistischsten, kurze Strecken in mittellanger Zeit zurückzulegen.

Ich bin interessiert, welchen von den vielen Bussen ich denn nehmen sollte, um unkompliziertst möglich diesen Umstand in meinen Biorhythmus integrieren zu können. Der zuständige Mitarbeiter zeigt mir die Routen der insgesamt fast 50 Busse. "Petrol Bunk" -> "Police Station" -> "Police Station" -> "Police Station" -> "Petrol Bunk", so sind dort die meisten Routen (die Haltestellen allerdings in unterschiedlichen Reihenfolgen) aufgeführt. Wie in To Cheat behandelt, sind das Landmarks, mithilfe derer man sich letztendlich orientieren muss. Ich vertraue auf das Wort des Mitarbeiters, der mich in erster Linie schnell wieder loswerden zu wollen scheint, und steige noch am selben Abend in Linie "#41" ein. Den Hinweis "second Petrol Bunk" behalte ich im Hinterkopf.

Ich frage in diesem Bus "#41" die Dame vor mir (ich habe auf, unter und über meinem Sitz ausreichend lange nach "Ladies"-Andeutungen gesucht), ob sie mich nicht an der zweiten Tankstelle darauf hinweisen kann, dass wir uns zu diesem Zeitpunkt an der zweiten Tankstelle befinden werden. Sie ist an meinem absoluten Zielort interessiert und zweifelt, ob der Bus "#41" wirklich der meiner Wahl sein sollte. Ihre Bedenken werden an die wiederum eine weitere Reihe davor sitzende Passagierin weitergeleitet, welche diese Kette bis vorn angekommen weiterführt. Irgendwann spricht jeder, und zwar dermaßen gleichzeitig und widersprechend, dass ich nichts mehr verstehe. Die Diskussion wird abrupt beendet, als mir plötzlich "#40" ans Herz gelegt wird. Da kein ernsthafter Widerspruch erfolgt, steige ich in "#40" um.

In "#40" stelle ich mich gleich sämtlichen Fahrzeuginsassen gleichzeitig vor, damit diese schon zu diskutieren anfangen können. Einer fühlt sich zumindest kompetent genug, dem Fahrer rechtzeitig "Stop!" an den Kopf zu werfen. Ich werde plötzlich irgendwo durch ein spontanes "Stop!" ausgesetzt, von wo mich mein Mitbewohner glücklicherweise mit dem Auto abholen kommen kann.

Am nächsten Morgen 7h stehe ich an der am Rückweg gemessenen zweiten Tankstelle und warte auf einen orangenen Bus, der den Namen meiner Firma wiedergibt und auf dem deutlich "#40" oder "#41" zu erkennen ist. Ich erinnere mich, dass meine Kollegin am Tag zuvor das Wort "orange" im Zusammenhang mit unseren Bussen verwendet hat und ich bin mir sicher, dass der Bus irgendwie orange aussah. Idiotensicher. Um 8h denke ich, dass der Bus, der hauptsächlich weiß war, in keinster Form auf meine Firma hingedeutet hat und sich abstrakt "B-12" nannte, doch derjenige gewesen sein könnte, den ich hätte nehmen sollen.

Am Abend wiederum (am Morgen bin ich nicht drum herumgekommen, eine Rikscha zur Arbeit zu nehmen und dafür den 1,5 fachen Meterpreis hinzublättern) stelle ich bei genauerer Betrachtung der Busse fest, dass diese beim auf-mich-Zukommen von vorn weiß, so wie man sie aber abends beim Einsteigen sieht, von der Seite, orange sind. Ich frage also nochmal schnell den zuständigen Mitarbeiter, warum denn nun "B-12" und nicht "#41" oder "#40". Die Antwort, ganz einfach, die Busse fahren morgens und abends völlig unterschiedliche Routen. Sollte ich einmal einen Bus am späten Abend nehmen müssen, wäre dies übrigens schlichtweg "29".

Mir wird geraten, im Bus lieber nicht hinten, sondern vorne zu sitzen. Für mich gibt es dafür keinen Grund, bis ich ihn nicht selbst spüre. Da in Indien generell Geschwindigkeitsbegrenzungen existieren, die Möglichkeiten, diese zu kontrollieren aber sehr eingeschränkt sind, werden auf sämtlichen Straßen einfach der Karosserie gegenüber fiese "Humps" aufgeschüttet. Die Bodenwellen zwingen einen zum Bremsen oder bestrafen nicht nur Hardware, sondern auch Reisekomfort. Im Bus läuft das so: dort wird gebremst und sobald der Fahrer das Gefühl empfindet, die Bodenwelle hinter sich gelassen zu haben, wird wieder beschleunigt. Da dann aber erst ca. 20% des Busses das Gefühl teilen durften, wird es für die, die in den letzten 20% sitzen dafür umso intensiver.


Ich hoffe die Geduld des treuen Lesers war beim Lesen dieses Artikels ebenso ausdauernd wie die, mich in diesem System zurechtzufinden.

Montag, 1. Februar 2010

To Cheat

Zurück in der Überbevolkerung angekommen, möchte ich mich einem Thema widmen, welchem man sich in den Städten kaum entziehen kann, sofern man nicht auf ewig an ein und derselben Stelle verweilen möchte. Die offensichtlichste und allgegenwärtigste, quasi ständig verfügbare Option stellen die abertausenden Rikschas dar, eine auf wenig Technik und Komfort basierende Taxilösung; Taxi im Sinne von Anpfeifen und Einsteigen mit Vorgeben eines individuellen Zielpunktes. Dieser darf gerne individuellst möglich sein, die Chancen, dass man ihn tatsächlich erreicht, diesen Zielpunkt, sind generell beschränkt. Der Rikschafahrer wird wohl immer sagen, dass er ganz genau nachvollziehen kann, wo man abgesetzt werden möchte, doch prinzipiell kann der gutgläubige Kunde zu diesem Zeitpunkt noch keine Äpfel und Birnen auseinanderhalten. Es ist also sinnvoll, selbst zu wissen, wo sich das Ziel in etwa befindet, um zumindest bei Fahrten in den Norden eine Fahrt in den Süden von vornherein auszuschließen.


Das Beschreiben von Orten wie "mein Zuhause", "meine Arbeit" oder "der und der Laden für das und das" gestaltet sich dabei nicht mittels Straßennamen, sondern mithilfe von sogenannten Landmarks. Landmarks können zum Beispiel Tankstellen oder Ampeln sein, davon gibt es nämlich nicht besonders viele, wodurch die wenigen aussagekräftiger wirken. Ich sage zum Beispiel meist Banaswadi Signal, dies steht für die Ampel in meinem Bezirk. Ich wohne übrigens in der 4th A Main Road, wobei sich diese quasi nicht als solche zu erkennen gibt (Anmerkung des Erzählers: es gibt schlichtweg keine Straßenschilder). Ich weiß aber mittlerweile, dass ich beim Fitnessstudio links, danach die dritte rechts, an der "Apotheke" wieder links und schließlich an der 2CC Kreuzung vorbei in die 2B Kreuzung links abbiegen muss, bevor ich schlussendlich die erste Rechts nehme. Easy going.

Problem Nummer 2 stellt in der verschworenen Rikschawelt das System der Abrechnung dar. Im Sinne des Erfinders ist ein Taxometer, kurz Meter, welches im Fahren das Verfahrene misst. Selbstsicher auftretend schafft man es unter Umständen, diesen einschalten zu lassen, sonst geht es meist nur über horrende Fixbeträge, die vor Fahrtantritt beschlossen werden. Ich war einmal Stolz, einen vermeintlich guten solchen Fixbetrag ausgehandelt zu haben. Von 200 vorgeschlagenen Rupien, habe ich ihn letztendlich immerhin auf 130 Rupien herunterhandeln können, "you must be kidding" und schlichtes Antäuschen von Weglaufen waren hierfür recht gute Möglichkeiten, (vermeintliche) Selbstsicherheit zu demonstrieren. Ich erzähle dem Rikschafahrer auf dem Weg, dass ich nicht etwa ein Tourist bin, sondern schon jahrelang in Bangalore lebe, er solle also genau überlegen, welchen Weg er fährt. Das ist mein Teil der Verarsche. Da ich als Ziel für meine Fahrt aber "Stadtzentrum" angegeben habe und ich auf demselben Rückweg mithilfe eines Meters feststelle, dass der echte Preis für diese Strecke nicht einmal 30 Rupien gewesen wären, dürfte der Rikschafahrer aber der lauter Lachendere gewesen sein.