Donnerstag, 25. Februar 2010

Getting Lost

Ich bin scheinbar nicht darum herumgekommen, mich nach einem Ausflug zusammen mit Kollegen, welche am anderen Ende der Stadt wohnen, von diesen zum Abschied in einen von der Regierung betriebenen Busse setzen zu lassen. Es scheint ihr Gewissen zu beruhigen, mich bei Dunkelheit aus ihrem Einflussbereich zu befördern und mich damit zwangsläufig auf meinem Weg des Nachhausekommens voll und ganz meinem Schicksal auszuliefern. Ein Kollege ruft in einen vorbeifahrenden Bus die grobe Richtung meines Fahrziels, der Fahrer gibt durch signifikante Bewegung seines Kopfes, er wippt wie gewohnt von Schulter zu Schulter, zu verstehen, dass seine Linie in unserer (insbesondere meiner) Angelegenheit ein Volltreffer sei. In mir hegen sich ernsthafte Zweifel bezüglich der Wahrscheinlichkeit, an einem beliebigen Ort genau dem richtigen von den abertausenden Bussen zu begegnen, der einen auf direktem Wege nach Hause transportieren will - und das sogar beim allerersten Versuch. Da ich leider keinem Rikschafahrer von dort aus auch nur annäherungsweise erklären könnte, wo genau ich wohne, bleibt wir wohl nichts anderes, als mich auf das Abenteuer einzulassen.

Der Bus fährt, unglaublich aber wahr, tatsächlich erstaunlich gut, der Fahrer scheint von seinem Hand- und Fußwerk zu verstehen. Ich sehe bei dem Blick aus dem Fenster immer wieder Bilder, die mir bekannt vorkommen und die sich richtig anfühlen. Nach über einer Stunde Fahrzeit fühle ich mich auf die Probe gestellt: Der Bus hält an einer Ampel, nach der die Verkehrsführung zwangsläufig in eine Rechts- oder aber in eine Linkskurve übergeht. Ich sehe nach links, weiß genau, dass dies meine Wahl wäre, weiß genau, dass es ab hier noch ganz genau zwei Kilometer sind. Hier ist nämlich der Punkt, ab dem ich messe, ob der Meter einer mich in der Gegend herumfahrenden Rikscha auch tatsächlich bei zwei Kilometern aufhört zu zählen. Ja, einer hat es sich sogar einst herausgenommen, bis zur knappen Hälfte der Strecke schon sechs Kilometer verfahren haben zu wollen.

Nachdem diese Busfahrt mich bisher von allen schlechten Gedanken über das Busfahren abgebracht und bis in höchste Höhen von Zuversicht und Vertrauen in diese Technologie versetzt hat, geschieht das Unabdingbare. Ich steige nicht aus, Ampel grün, Lenkrad nach rechts eingeschlagen, hupen und Vollgas. Die Räder des Busses kommen erst nach gefühlten fünf Kilometern wieder zum Stehen. Ich bin der erste der aussteigt. Unglücklicherweise wurde meine nicht mit eingeplante Bonus-Strecke nicht in einem geraden Stück abgefahren, sondern auf kleineren Teilstrecken, die andere Teilstrecken über Links- und Rechtsabbiegen verbinden. Da der Bus meinen Glauben an mich selbst und den Endorphingehalt meines Blutes nach wie vor konstant halten konnte, beschließe ich, ab dort zurück zu laufen. Die grobe Richtung denke ich zu kennen; die zweite Fehleinschätzung für diesen Abend.

Ich gehe in ähnlich seltsamem Zick-Zack wie der Bus, das gibt mir das Gefühl, alles richtig zu machen. Ich gehe dabei zudem hin und wieder im Kreis, da auch dieses dazu zu gehören scheint. Nach ca. einer Stunde bin ich überfroh, zunächst die 4th Main Road und kurz darauf die 4th A Main Road zu finden, in der ich glaube zu wohnen. Ich folge ihr zuerst bis ans eine Ende, dann ans andere und stelle fest, hier definitiv noch nie gewesen zu sein. Meine Hausnummer scheint generell in einer anderen Liga zu spielen. Gemein ist dieser 4th A Main Road mit der meinigen aber die Tatsache, dass es sich bei ihr um eine unauffällige Seitenstraße handelt, die nachts recht düster und verlassen erscheint. Es kommt mir also regelrecht entgegen, dass mir in meiner Situation grundlegender Hilflosigkeit drei Inder entgegenkommen. Ich kläre sie höflich über mein Schicksal auf und frage, ob sie mir weiterhelfen können. "Klar", schwafeln sie in kaum verständlichen Anglizismen. Untereinander unterhalten sie sich, auch in meiner Anwesenheit, in Kannada, der hiesigen Lokalsprache.

Meine Wegsgenossen zeigen sich sogar derart hilfsbereit, dass sie mich bis vor meine Tür begleiten wollen und es daher in Kauf nehmen, in genau die Richtung zurückzulaufen, aus der sie eigentlich gerade gekommen sind. Wir gehen gemeinsam ein gutes Stück, ich hatte dabei noch nicht die Gelegenheit, mich irgendwie orientieren zu können. Wir sind auf jeden Fall abseits jeglicher 4. Straßen. Wir stehen plötzlich vor einem kafkaeskschen Haus, dessen Tür sich durch die Hand einer meiner neuen Freunde öffnet. Sie bitten mich herein, man könne mir dort besser helfen. Erst relativ spät realisiere ich, dass das Ziel dieser Aktion wohl von vornherein nicht mein Haus, sondern dieses Haus gewesen sein muss. Wer weiß, vielleicht wollen sie mir nur Tee kochen und mich ihrer Familie vorstellen, das Risiko, eine dritte Fehleinschätzung für diesen Abend einzugehen, möchte ich aber lieber nicht in Kauf nehmen.

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